Der Leistungswind weht aus Asien

Prof. Dr.-Ing. Jens Strackeljan | Foto: Peter Gercke

Prof. Strackeljan, im jüngsten internationalen Vergleich findet man unter den ersten 100 Universitäten nur eine Handvoll deutsche. Die Ludwig-Maximilians-Universität München taucht als erste auf Platz 55 auf. Was fehlt uns gegenüber den angloamerikanischen und asiatischen Elite-Unis?

Prof. Dr.-Ing. Jens Strackeljan: Im asiatischen und angloamerikanischen Raum gibt es andere Strukturen und es wird anders gezählt. Die deutschen Universitäten sind darum objektiv besser als es die Ergebnisse der Rankings ausdrücken und wir stehen gar nicht so schlecht da, wenn man sich die Bewertungskriterien genauer anschaut. Dann bekommt man schnell heraus, welche Input-Parameter die größten Auswirkungen auf das Ranking haben. Die Universitäten in Deutschland haben darum eine gemeinsam finanzierte Beratungsstelle geschaffen, die Unterstützung bei der Optimierung von Eingabekriterien leistet. Die TU Dresden beispielsweise ist so um 100 Plätze im Ranking gestiegen. Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg liegt in der Gruppe der jüngeren Universitäten regelmäßig zwischen dem 150. und 200. Platz weltweit, da ist sicher noch mehr drin.

Und wo sehen Sie Ihre Einrichtung im Konzert deutscher Universitäten?

Irgendwo im guten Mittelfeld. In der jüngsten Exzellenzinitiative hat von allen ostdeutschen Universitäten nur die Technische Universität Dresden das Label Exzellenzuniversität erhalten. Diese Vergleiche kann man aber eigentlich nicht ohne die Betrachtung der Tradition des bewerteten Standortes und vor allem des außeruniversitären Umfeldes anstellen. Da gibt es dann vielleicht drei Max-Planck-Institute, vier Leibniz-Institute und fünf Fraunhofer-Institute. Damit entsteht einfach eine wissenschaftliche Stärke, mit der eine Universität deutlich bessere Möglichkeiten hat als andere. Wenn ein Max-Planck-Institut eine Professur finanziert, stärkt das natürlich den Lehrkörper einer Universität. Und wenn Universitäten 100 solche außeruniversitär bezahlte Professuren haben, sind das einfach hervorragende Chancen für Forschung und Lehre. Diese außeruniversitären Institute haben in der Vergangenheit außerdem über Jahre eine feste Bugdet-Steigerung erhalten. Davon war bei den Hochschulen nie die Rede. Wir mussten hingegen über Jahre einen Teil der Tarifsteigerungen selbst tragen, einen Inflationsausgleich hat es nicht gegeben. Das hieß für uns, jedes Jahr Stellen abzubauen, um gestiegene Gehälter bezahlen zu können. Das sind Bedingungen, unter denen die Schere zwischen den Standorten immer weiter auseinandergeht.

Was kann Ihre Uni tun, um da überhaupt Schritt halten zu können?

Sich auf wenige Bereiche konzentrieren und damit Profil gewinnen! Wir haben in den vergangenen Jahren – und das verfolge ich auch weiter – die Medizin enger an die Ingenieurwissenschaften herangeführt oder – je nach Perspektive – auch umgekehrt. Das ist zwar noch kein Alleinstellungsmerkmal, aber wir bringen wir uns damit unter den bundesweit gut 30 Universitäten mit einer medizinischen Fakultät in eine Position, in der wir uns schon abgrenzen können. Im November werden wir im Wissenschaftshafen den medizintechnischen Forschungscampus STIMULATE einweihen. Es gibt nur neun solcher vom Bund über 15 Jahre finanzierte Leuchtturmprojekte in Deutschland. Erfolge sind erste Unternehmensansiedlungen oder -ausgründungen aus der Universität, wie z.B. die 2017 gegründete Firma Neoscan Solutions GmbH, die einen speziellen MRT für Kinder baut. In diesem interdisziplinären Sektor braucht es lange Entwicklungszeiten, aber jetzt tragen unsere Anstrengungen Früchte und zahlen sich wissenschaftlich für die Uni und wirtschaftlich für die Stadt Magdeburg aus. Oft ist das Fördersystem solcher interdisziplinärer Bereiche sehr komplex, da wird noch sehr klassisch in Strukturen von Fachdisziplinen gedacht. So hat vielleicht ein begutachtender Mediziner nicht das entsprechende Verständnis, warum an der einen Stelle für ein Medizinprodukt ein neues Material erforscht werden muss und dann kommt er als Gutachter eines Forschungsprojektes nicht zu der von uns gewünschten Bewertung.

In Magdeburg ist häufiger der Ruf zu hören, dass Professorinnen und Professoren häufig nicht an ihrem Dienstort wohnen und damit weniger ins geistig-kulturelle Leben der Stadt hineinwirken. Wie sehen Sie diese Kritik?

Über 55 Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen sind hier nicht ansässig. Was wir tun, um einen Umzug mit der Familie zu fördern, ist, beispielsweise die Kostenübernahme an die Verlegung des Hauptwohnsitzes nach Magdeburg oder in die benachbarten Landkreise zu koppeln. Wir kümmern uns schon sehr, Menschen für die Stadt Magdeburg zu gewinnen. So vermitteln wir Kitaplätze und Schulen oder unterstützen bei der Suche nach Arbeitsplätzen für die Partner. Es gibt für die Kolleginnen und Kollegen während der Vorlesungszeit eine vorgeschriebene Anwesenheitspflicht von mindestens drei Tagen. Mehr ist juristisch kaum drin. Wissenschaftler sind, grundgesetzlich geschützt, in der konkreten Ausgestaltung Ihrer Tätigkeit enorm frei. Ich würde mir an der einen oder anderen Stelle auch mehr Präsenz wünschen, denn wenn sich die Arbeit hier auf drei oder vier Tage in der Woche konzentriert, bleibt manches einfach liegen. Ich fände es auch sinnvoll, wenn Kolleginnen und Kollegen mehr am gesellschaftlichen Leben Magdeburgs partizipieren könnten.  

Greift die Politik eigentlich in die Fördermittelvergabe ein?

Die Länder verfolgen über die Grundfinanzierung hinaus nicht unbedingt eine aktive Förderpolitik, dafür gibt es den Bund und Mittel der EU. Eine landesfinanzierte Forschungsförderung hat Sachsen-Anhalt derzeit nicht, aber wir nutzen die Strukturfonds der EU für wissenschaftliche Aufgaben. Diese Fonds folgen in der Tat politischen Vorgaben. Brüssel verlangt von allen Ländern bzw. Regionen die Erstellung einer sogenannten regionalen Innovationsstrategie. Dazu wurden für das Land relevante Leitmärkte wie Mobilität, Energie oder Gesundheit definiert und die Förderung erfolgt dann auch speziell in diesen Bereichen. Mittelgroße Universitäten wie wir oder die Uni in Kassel haben für die Region eine enorme Bedeutung und sind Treiber von Innovationen. Da hängt man ein stückweit an politischen Rahmenbedingungen, aber ich sehe darin kein ernstes Problem. Wir haben hierzulande 25.000 Beschäftigte in der Automobilindustrie. Da ist es legitim, wenn der Wissenschaftsminister mit uns im Gespräch ist, und fragt, was unser Beitrag sein kann, um diesen Bereich zu unterstützen. Da können wir mit Studiengängen wie Maschinenbau, Elektromobilität oder Informatik stärkere Bezüge in diesen Industriebereich herstellen. Übrigens kommen heute 40 Prozent unseres Etats überhaupt nicht mehr vom Land Sachsen-Anhalt. Das sind Mittel aus Berlin oder Brüssel, die Themen wie Nachhaltigkeit, CO2 und Künstliche Intelligenz oder Medizin abdecken. Auf diese Mittel können wir nicht verzichten, denn sonst sähe die Uni Magdeburg anders aus. Wir hätten weniger Mitarbeiter, Lehrstühle und eine schlechtere Infrastruktur. Auch diese Fördergelder werden häufig thematisch gebunden ausgereicht und wir müssen schon hinschauen, wo die Futtertöpfe stehen. Ja, es gibt Einflüsse von außen, aber die Uni Magdeburg bietet genügend Raum für zweckfreie und rein erkenntnisorientierte Grundlagenforschung.

Und welche Ergebnisse muss die Universität für die Mittel bringen?

Das Land fragt natürlich, wo unsere Absolventinnen und Absolventen nach dem Studium bleiben. Wenn in anderen Bundesländern reizvollere Karrierechancen existieren als in Sachsen-Anhalt, ist es allerdings unsinnig, uns vorzuwerfen, wir hätten am Bedarf der Industrie des Landes vorbei ausgebildet. Die Industrie in Sachsen-Anhalt ist in weiten Teilen in Forschung und Entwicklung zu schwach, als dass sie langfristige Forschungsperspektiven und Trends vorgeben könnte. Das sieht an der TU Braunschweig schon anders aus. Langfristige, strategische Unternehmensentscheidungen fallen in großen Konzernzentralen. Aber die haben wir hier nicht.

In den naturwissenschaftlichen Fächern werden oft mangelnde Wissensvoraussetzungen bei Studienanfängern beklagt. Wie sehen Sie das?

Professoren stehen heute vor einer anderen Generation von Studierenden, als sie es aus ihrer eigenen Studienzeit kennen. Bei meinen eigenen Kindern kann ich allerdings nicht erkennen, dass sie schulisch weniger gefordert sind, als wir es waren. Im Kern sehe ich den akademischen Nachwuchs also nicht grundsätzlich schwächer, sie verfügen heute über andere Kompetenzen. Die müssen wir aufgreifen. Zwar schütteln manche Kollegen, die seit Jahren Vorbereitungskurse für Studienanfänger durchführen, nach den Tests am Ende manchmal verzweifelt den Kopf und dokumentieren uns gegenüber auch, dass Abiturienten im Fachwissen schlechter geworden sind, übrigens ganz konträr zur Entwicklung der Abiturnoten. Wir könnten also die Schuld im Schulsystem suchen, in dem täglich Unterricht ausfällt und nicht einmal in Bestzeiten 100 Prozent Versorgung gewährleistet werden kann. Diese Klagen helfen uns aber nicht weiter. Wir haben genau diese Generation, wollen gern mit ihr arbeiten, dürfen aber auch unser Niveau in der Lehre nicht absenken.

Ist das ein Generationenphänomen?

Vielleicht waren wir damals klarer in unseren Entscheidungen, aber das kann ich nur vermuten. Abbrecherquoten bei den Ingenieuren von bis zu 40 Prozent gab es aber schon immer. Durch die naturwissenschaftlichen Grundlagen am Anfang des Studiums mussten wir damals - ebenfalls wie die Studierenden heute - einfach durch. Möglicherweise haben wir uns eher mal selbst in den Hintern getreten, wenn es nicht so lief. Auffällig ist auch die hohe Anzahl von Studienfachwechslern.

Heute haben wir 2,7 Millionen Studenten in Deutschland und nur 1,1 Millionen Auszubildende. Vielleicht macht Masse eben noch keine Klasse?

Heute bringt Deutschland 50 Prozent eines Jahrgangs zum Abitur. Das haben PISA- und OECD-Studien mitbewirkt, weil man glaubte, einen zu geringen Anteil akademisch Ausgebildeter zu haben. Da sind die Schleusen geöffnet worden. Und wer einmal im Sys-tem ist, kommt meistens auch zum Abschluss. Für mich ist allerdings entscheidend, dass wir zumindest im Bereich der Hochschulbildung das Leistungsniveau nicht absenken dürfen. Ich bin viel im Ausland unterwegs und spüre die dortige Dynamik und Leistungsbereitschaft. Wir werden es in der internationalen Konkurrenz, insbesondere zu asiatischen Ländern, schwer haben, wenn wir uns von jedem Leistungsgedanken befreien wollen. Ich halte es darum auch für das falsche Signal, dass jetzt die Langzeitstudiengebühren fallen. Ich komme aus der Mechanik. Da gibt es den Leistungsbegriff, der gegenüber der physikalischen Arbeit einen Zeitbezug hat: Leistung ist die in einer bestimmten Zeit verrichtete Arbeit. Wer jetzt Langzeitstudiengebühren, die übrigens viele Befreiungsmöglichkeiten boten und erst 2 Jahre nach der eigentliche Regelstudienzeit fällig wurden, streicht, setzt ein Signal. Das Leben bringt es aber mit sich, dass Projekte in einem bestimmten Zeitraum abgeschlossen sein müssen, da können wir doch keine Beliebigkeit hineinbringen.

Politiker und verschiedene andere Institutionen klagen hierzulande über einen ständig gestiegenen Leistungsdruck. Ein Land wie das unsere, das so stark vom Export lebt und in der Globalisierung verflochten ist, steht in einem immer stärkeren Maße in internationaler Konkurrenz. Gerade in Schlüsseltechnologien wie der Künstlichen Intelligenz weht uns ein enormer Wind entgegen. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Anderenfalls kommt es zu Einschnitten beim Wohlstand und in unseren Sozialleistungen. Der Glaube, alles ginge die nächsten 20 bis 30 Jahre so weiter, ist ein großer Irrglaube. Das können wir täglich in den Medien lesen. So hat der Automobilzulieferer Schaeffler in einigen Werken Kurzarbeit verordnet. Im Sondermaschinenbau, bei Produktionsausrüstungen für den Automobilbau bewegt sich gerade gar nichts. China hat in den vergangenen 30 Jahren in der technologischen Entwicklung unglaubliche Sprünge gemacht. Es gilt nun, den Anschluss zu halten und da können wir mit Modellen einer angemessenen Work-Live-Balance international nicht immer punkten. Es fehlt auch die Lust und Neugierde in Richtung Naturwissenschaften und Technik. Mich macht zum Beispiel sehr nachdenklich, wenn ein Gutteil der heute 8- bis 15-Jährigen ihr Fahrrad nicht mehr selbst reparieren kann. Und blicke ich auf die aktuellen Bewerberzahlen zum kommenden Wintersemester, habe ich schon den Eindruck, das bestimmte Studiengänge auch deshalb nicht mehr gewählt werden, um möglichen Anstrengungen auszuweichen. Wir müssen hier noch viel stärker Orientierung geben, aber das benötigt natürlich auch Lehrer in den Schulen, die uns aber gerade in Mathe und Physik fehlen.

Der Deutsche Hochschulverband kritisierte im April eine Verengung der Debattenräume an Hochschulen. Teilen Sie diese Kritik?

In der politischen und medialen Sphäre scheint sich einiges zu verengen, eine Simplifizierung und in Teilen auch Skandalisierung bestimmt nicht selten die Debatte. Da müssen wir auf dem Campus Diskursraum bieten und als Universität auch weitergehen als andere. Eine Uni ist prädestiniert dafür, unterschiedliche Standpunkte auszuhalten, natürlich unter Einhaltung grundgesetzlich geschützter Werte und Regeln. Wir haben 2.500 internationale Studierende und da wird die Universität es nicht zulassen, dass Debatten ins Nationale abgleiten. Ich stimme aber zu, die Uni könnte an dieser Stelle – gerade weil die Räume außerhalb enger werden – mehr tun.

Wie steht es an der Magdeburger Uni um das Ziel, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen?

In vielen Bereichen haben wir da gar keine Probleme. Mit Sorge schaue ich aber auf die Studienbewerberzahlen in den Ingenieurstudiengängen. Bei der Frage, wie wir überhaupt junge Menschen für naturwissenschaftliche und Ingenieurbereiche begeistern können, müssen wir auch das Potenzial der Frauen noch stärker berücksichtigen. Ganz sicher braucht es Vorbilder und den geeigneten Zugang, um den Frauenanteil in technischen Disziplinen zu erhöhen. Derzeit ist es aber absurd zu glauben, dass 50 Prozent der Berufungen an Frauen gehen könnten. Die sind schlichtweg gar nicht da. Wir sollten eher darüber diskutieren, ob Professorinnen in Leitungspositionen entsprechend der Anzahl der Studierenden im jeweiligen Fach berufen werden könnten. An der Universität Eindhoven geht man gerade einen radikalen Weg. Es wird für ein Jahr überhaupt keine Berufung mehr an Männer ausgesprochen. So etwas käme für uns nicht infrage.

Die Studierendenzahlen im Land werden perspektivisch etwas sinken, auch, wenn alle Standorte enorme Anstrengungen im Marketing unternehmen. Vielleicht sind 50.000 Studierende insgesamt in Sachsen-Anhalt gar nicht nötig? Denn die immer heterogener werdende Studierendenschaft verlangt von uns auch künftig einen hohen und wesentlich intensiveren Aufwand in der Lehre, als wir ihn noch vor zehn  Jahren hatten. Den wollen wir gerne leisten. 
Fragen: Thomas Wischnewski

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