Den Wert bestimmen unsere Leser

Ronald Floum.

Herausgeber-Gespräch über MAGDEBURG KOMPAKT und über die Schwierigkeit jeder Selbsterklärung.
TW: Herr Floum, wie kommt man darauf, in Zeiten, in denen Zeitungen der Untergang prophezeit wird, eine neue Zeitung herauszugeben?
RF: Wie oft wurde der Weltuntergang orakelt, wie oft ein Kinosterben nach der Erfindung des Fernsehens? Totgesagte leben länger. So lange Menschen einer Profession nachgehen, wird es diese Profession geben. In welcher Form – das steht auf einem anderen Blatt.
TW: Aha, ein gewisses Können reicht also aus?
RF: Bei der Frage fängt das Problem an: Wie definiert man Können? Selbst, wenn Sie, Herr Wischnewski, wüssten, was das genau ist, würden Sie deshalb gleich eine Zeitung machen?
TW: Ich würde wohl zunächst nach einer inhaltlichen Lücke suchen. Was wird Lesern im Verbreitungsgebiet nicht oder zu wenig geboten?
RF: Sie haben eine gesehen?
TW: Gesehen? Ich würde eher geahnt sagen …
RF: … Ich weiß schon, jetzt folgt Ihr Argument: dem Wort wieder mehr Wert schenken. Wie wollen Sie denn den Wert von Worten wiegen?
TW: Das kann ich nicht, aber Leser können es. Darauf haben Sie doch auch gesetzt.
RF: Nach 100 Ausgaben wurden seit August 2012 aus 8.000 Zeitungen zum Start mittlerweile 25.000 Exemplare mit rund 40.000 Lesern, aus einer einmaligen Erscheinungsweise pro Monat wurde 2014 eine zweimalige.
TW: Stimmt, da hat uns der steigende Zuspruch bei Lesern und Kunden überrascht …
RF: … und wir konnten sicher mit unseren Ausgaben überraschen. Vor dem Vertrauen verneigen wir uns, sagen mit der Nr. 100 herzlichen Dank an alle Menschen, die diesen Weg ermöglichten, Leser, Kunden, Autoren und alle wichtigen helfenden Köpfe und Hände.
TW: Lücke – gut und schön. Aber wie finanzieren Sie Produktion, Papier, Druck, Vertrieb und Texte?
RF: Mit Kunden, die etwas zu sagen haben, die wie das Konzept in angemessener Weise mehr über ihre Kompetenzen, Dienstleistungen und Produkte zu berichten haben. Heraus kommt eine werbefinanzierte Zeitung. Deren Wert gegenüber einer Kaufzeitung messen zu wollen, ist natürlich schwierig.
TW: Hat eine vergriffene Auflage etwa keinen Wert?
RF: Das sage ich doch: Leser stimmen quasi über die regelmäßige Mitnahme von MAGDEBURG KOMPAKT mit Füßen und Köpfen ab. Nur sie bestimmen, was der Inhalt wert ist. Nur, wie wollen Sie auf Dauer, bei gleichzeitigem Geschwindigkeitsrausch sowie einer Informationsexplosion im Internet, etwas auf das langsame Medium Papier bringen, das es nicht schon digital gibt?
TW: Ist das Kunst oder Können? Ich weiß es nicht. Anders: Jeder Mensch ist ein Museum und erzählt unheimlich viele Geschichten aus eigenem Fühlen, Denken und Tun. Doch wer schreibt sie auf? Das ist unser Metier.
RF: Lange Texte will doch keiner lesen. Das behauptet jede Mediaanalyse.

Thomas Wischnewski.

TW: Herr Floum, Hand aufs Herz, nicht jeder Text bei uns ist lang. Aber den wenigen, denen wir mehr Platz spendieren, die sollten es schon in sich haben. Gerade, weil alle Medienanalysen dasselbe sagen, glaube ich nicht daran. Da ist nämlich die Lücke.
RF: Ich bitte Sie, Herr Wischnewski, so genannte große Zeitungen wie die „Frankfurter Allgemeine“ und die „Süddeutsche“ haben in Magdeburg keine 300 Abonnenten.
TW: Genau und die kosten in gedruckter Form rund 700 Euro als Jahresabonnement plus ein Abo der hiesigen Tageszeitung – da sind wir bei rund 1.000 Euro pro Jahr. Das muss man sich leisten können. Da ist Platz für anspruchsvolle Inhalte außerhalb von Kaufzeitungen.
RF: Wenn man Sie so reden hört, frage ich mich, warum Sie nicht eine kostenlose Tageszeitung machen wollten.
TW: Wir leiden doch nicht an Selbstüberschätzung. Es gibt doch eine. KOMPAKT bietet im Verbreitungsgebiet etwas an, was andere auslassen oder eventuell nicht können wollen.
RF: Das Internet kann doch heute alles.
TW: Sicher, vor allem viel Schall und Rauch. Glauben Sie wirklich, dass da alles erhalten bleibt, alles gefunden wird und jeder alles erfährt?
RF: Lassen Sie bitte die Kirche im Dorf! Was ist alles? Vorhandene Internetseiten schätzt man auf über eine Milliarde, allein Facebook zählt fast zwei Milliarden Nutzer. Hat ein Tag deshalb mehr als 24 Stunden, um mehr lesen zu können? Noch mehr Seiten, noch mehr Informationen und steigende Nutzerzahlen führen nicht automatisch zu mehr persönlicher Informiertheit.
TW: Eine gewagte Behauptung, Herr Floum. Andere sagen etwas anderes. Obwohl ich Ihnen beipflichte, mehr Möglichkeiten heißt nicht, dass daraus in jedem Fall ein tatsächlicher Nutzen entspringt.
RF: Wir wollen das Zeitgeschehen nicht permanent aus Berlin, Hamburg oder München erklärt wissen. Es gibt in unserer Region kluge Menschen mit interessanten Ansichten, mit vielseitigem Wissen und mancherlei Erfahrung. Davon muss stets aufs Neue etwas in unsere Zeitung.
TW: Mein Reden. Aber ist das auf Dauer nicht ungemein anstrengend, so etwas zusammenzutragen?
RF: Anstrengender ist, etwas nicht zu tun. Fällt Ihnen etwa das Schreiben schwer?
TW: Es mag etwas Leichteres geben. Ein Tischler, der immer denselben Tisch fertigt, wird kein besonders vielseitiger Handwerker sein. Übung und Erfahrung erleichtern vieles, auch die Schreibarbeit. Der Blick auf historische Wurzeln, auf Hintergründe, Motive und Ideen, vor allem auf die Menschen dahinter – das sichtbar machen zu können, ist wirklich eine reine Freude.
RF: Kommen Sie mal auf den Punkt: Wie würden Sie die Zeitung in einem Satz beschreiben?
TW: Ein Versuch: Lesestoff für die richtige Zeit am richtigen Ort. Ehrlich gesagt, ich kenne auch keinen.
RF: Dann überlassen wir das doch besser den Lesern von MAGDEBURG KOMPAKT.

Fragen an den jeweils anderen Herausgeber: Ronald Floum (RF) & Thomas Wischnewski (TW)

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