„Dafür ist man nie zu alt“

Generationenübergreifendes Studium: Karin Braune (am Laptop) beschäftigte sich mit ihrer Projektgruppe „Ran an die Medien“ mit den kleinen Dingen des Medienalltags. Foto: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Gezwungenermaßen habe sie ihr Leben lang gelernt. Das sagt Adelheid Ernst, wenn man sie fragt, warum sie im Alter von 77 Jahren noch immer die Universität besucht. Was beim ersten Hinhören wenig euphorisch klingt, entpuppt sich im Gespräch als das Gegenteil. „Mein Studium damals musste ich abbrechen, weil meine Kinder zur Welt gekommen sind. Aber das war kein Grund, auf einen Abschluss zu verzichten – ich musste nur einen Umweg nehmen“, sagt die 77-Jährige mit einem Schmunzeln, die nach ihrer Ausbildung zur Medizintechnischen Assistentin ein Studium als Diplom-Medizinpädagogin abschloss. „Nach der Wende folgten Weiterbildungen im Gesundheitsbereich und schließlich war ich dann in einem Alter, in dem ich mehr Zeit für mich und meine Interessen hatte.“
Ihre Interessen gelten der Geschichte, fremden Kulturen, den Politikwissenschaften, der Philosophie und der Psychologie. Man könnte beinahe sagen, es gibt nichts, was Adelheid Ernst nicht interessiert. „Irgendwann dachte ich mir: Du wohnst in der Nähe der Uni – warum solltest du das nicht nutzen? Schließlich gibt es ein vielfältiges Angebot.“ Bereits seit 25 Jahren läuft an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg „Studieren ab 50“. Im aktuellen Semester sind 742 Studenten und Studentinnen jenseits der 50 angemeldet – 447 Frauen und 295 Männer. Die meisten Teilnehmer gibt es in der Altersgruppe 65 bis 79, doch auch jenseits der 80 sind es 62 Studierende. Das Konzept „Studieren ab 50“ am Lehrstuhl für Medien- und Erwachsenenbildung der Fakultät für Humanwissenschaften eingegliedert und ist für alle Interessierten offen. Zur Teilnahme bedarf es lediglich einer Einschreibung als Gasthörer.
„Wissenschaftliche Weiterbildungsangebote für Ältere – egal, in welcher Form – haben sich inzwischen flächendeckend an deutschen Universitäten und Hochschulen etabliert“, sagt Olaf Freymark vom Institut für Erziehungswissenschaften, Ansprechpartner für „Studieren ab 50“. „In Magdeburg hat es bereits vor der Wende einige Angebote gegeben, so richtig in Schwung kam das Projekt 1991, als das Weiterbildungszentrum der Pädagogischen Hochschule aufgebaut und mit der Gründung der Otto-von-Guericke-Universität 1993 hier übernommen wurde.“ Das Modell der Universität Bielefeld diente damals als Vorbild. Entwickelt wurde ein Konzept, dass es älteren Studierenden ermöglicht, die Lehrveranstaltungen des Direktstudiums zu besuchen. „Alle Fakultäten sind daran beteiligt, außer die Medizinische Fakultät“, gibt Olaf Freymark Auskunft. Zudem gibt es spezielle Lehrveranstaltungen für ein älteres Publikum sowie die Projektarbeit, die ab 2004 verstärkt in das Programm aufgenommen wurde.
„Das Ziel der Projektarbeit ist es, jüngere und ältere Studierende in der wissenschaftlichen Arbeit zusammenzubringen“, schildert Adelheid Ernst. Und Karin Braune ergänzt: „Wir möchten damit ältere Menschen motivieren, sich einzubringen und von den Fähigkeiten der jüngeren Generation zu profitieren. Umgekehrt können natürlich die jungen Studierenden auch einen Nutzen aus dem Erfahrungsschatz der Älteren ziehen.“ Außerdem sei auf diese Weise auch ein Abbau von Vorurteilen möglich. „Viele junge Menschen denken beispielsweise, wir Älteren hätten mit moderner Technik und neuen Medien nichts am Hut“, meint Karin Braune und lacht. Ebenso wie Adelheid Ernst vertritt die 72-Jährige Magdeburgerin die Ansicht, dass lebenslanges Lernen geistig und körperlich fit hält. Deshalb habe auch sie sich 2004 dazu entschieden, Psychologie zu studieren. „Das hat mich schon immer interessiert und damals habe ich dann die Zeit dafür gefunden.“
„Sich mit Wissenschaft zu beschäftigen und seine eigenen Bildungsinteressen zu verfolgen – dafür ist man nie zu alt.“, so Adelheid Ernst. „Und was heißt eigentlich zu alt?“, hakt Karin Braune nach. Schließlich habe sich das Rollenverständnis von Altern und Alter in der Gesellschaft stark gewandelt. Wer heute mit 65 in Rente oder auch schon vorher in den Vorruhestand geht, hat andere Ambitionen als die Menschen, die vor einigen Jahrzehnten mit dem Arbeitsleben abgeschlossen hatten. Es gehe nicht nur darum, sich geistig anzuspornen – das Ganze habe auch eine soziale Komponente, sind sich die beiden einig. „Man lernt Menschen kennen … jüngere, ältere … freundet sich mit ihnen an und lernt so nicht nur Neues bei den gemeinsam besuchten Vorlesungen oder Seminaren“, weiß Karin Braune aus eigener Erfahrung. „Und einige Freundschaften haben auch jenseits des Studiums Bestand – das ist eine große Bereicherung für das Leben.“
Sowohl für Adelheid Ernst als auch für Karin Braune ist es nicht beim Besuch der Lehrveranstaltungen geblieben. Die beiden Damen bringen sich aktiv bei „Studieren ab 50“ ein. So hat Adelheid Ernst in der Vergangenheit beispielsweise Seminare zur Selbstentwicklung gegeben, unter dem Titel „Den Herbst genießen – Veränderungen als Chance erkennen und sinnvoll nutzen“. Karin Braune förderte für mehrere Semester mit ihrer Projektgruppe „Ran an die Medien“ ein generationenübergreifendes Studium. „Auch hier geht es natürlich darum, dass jüngere und ältere Studierende voneinander profitieren. Wir haben gemeinsam Projekte rund um das Thema Mediennutzung realisiert – Bildcollagen am Computer erstellt, aber auch Hörspiele und kurze Filme produziert.“ Und – auch hierbei sind sich die beiden Studentinnen einige – solange es die Gesundheit zulässt, wollen sie der Universität erhalten bleiben.  Tina Heinz

www.meb.ovgu.de/weiterbildung/studieren-ab-50

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