Am Anfang waren es Hunde, jetzt verstärkt Wildtiere

Andreas Reichardt, Tierheimleiter seit 2001, mit Mischlingsrüden Bob (3 Jahre alt, aktiv, lernfähig).

Magdeburg hat das älteste Tierheim in der Region. Eröffnet 1976 ist es seit 1991 in kommunaler Hand. Rund 1.200 Tiere jährlich werden dort betreut. Für MAGDEBURG KOMPAKT unterhielt sich Birgit Ahlert mit Tierheimleiter Andreas Reichardt.

Wie hat sich der Aufgabenbereich im Tierheim in den vergangenen Jahren geändert?
Andreas Reichardt: Zur Gründungszeit ging es nur um Hunde, dann kamen die Katzen hinzu. Später Kleintiere, auch Exoten. Anfang der 90er Jahre war unser Tierheim oft sehr ausgelastet, um nicht zu sagen überfüllt. Vorwiegend waren es Fundtiere, zwei Drittel im Vergleich zu Abgabe- und Pflegetieren. Das hat sich in den letzten Jahren verändert. Wir bekommen mehr Tiere aus sozialen Problemfällen.

Wenn Sie von Sozialfällen sprechen, meinen Sie animal hoardig, Tier-Messis?
Die gibt es auch, ja. Anfang des Jahres kamen aus so einem Haushalt acht Katzen, in einem sehr schlechten Zustand. Und eines Tages stand ein Karton mit 33 Wellensittichen vor unserem Tor. Aber das ist die Ausnahme. Wenn Familien auseinander gehen oder die Tierbesitzer älter werden und in Pflegeheime müssen oder Todesfälle... Psychische Erkrankungen auch, längere Aufenthalte in der Psychiatrie. Menschen haben Hunde als Partnerersatz, wenn sie sich nicht mehr kümmern können, wenn etwas passiert, krankheitsmäßig ... solche Tiere haben wir in höhrem Maße. Fundtiere sind weniger und bleiben auch nicht lange. Wer einen Hund hat, weiß: Der kann mal schnell weglaufen.

Wie viele Ausreißer gibt es in Magdeburg?
Vermisst gemeldet werden 10 bis 15 Katzen pro Woche, bei Hunden sind es 7 bis 8.

Werden viele Tiere ausgesetzt?
Das kommt vor. Oftmals haben diese Tiere Krankheiten, an Augen, Ohren oder inneren Organen. Manche können sich die Tierarztkosten einfach nicht leisten. Das Sozialumfeld überträgt sich auf die Tiere. Manche Besitzer kommen auch zu uns, weil sie sich die Tierhaltung finanziell nicht mehr leisten können. Das ist immer sehr traurig.

Wie steht es um „gefährliche Hunde“?
Da wird unterschieden nach zwei Kategorien: Einmal die „Vermutungshunde“, die auf der sogenannten Rasseliste stehen: Pitbull-Terrier, Staffordshir-Bullterrier, American Staffordshire-Terrier, Bullterrier und Kreuzungen mit diesen Rassen. Wenn sie den Wesenstest bestehen, ist alles gut. Kritisch wird es beim Beißvorfall. Dann wird reglementiert. Erforderlich sind Wesenstest, Sachkundenachweis, Führungzeugnis. Das kostet auch viel Geld, das die wenigsten Leute investieren wollen. Die Hunde haben schlechte Chancen. Wir sind froh, wenn wir einen im Jahr vermitteln können.

Welche Hunde kommen wegen Beißvorfällen zu Ihnen – die von der „Rasseliste“?
Das hat mit der Rasse nichts zu tun. Der Hund beißt nicht, weil er gerade Lust dazu hat. Es gibt immer einen konkreten Anlass, eine Reaktion auf ein Ereignis. Er kann sich bedroht fühlen, Angst haben, sich erschrecken oder es geht um Beschützerinstinkt. Der Hund ist nicht von Grund auf gefährlich. Das Problem liegt immer am anderen Ende der Leine.

Wie ist das Tierheim derzeit belegt?
Das ändert sich täglich. Momentan sind es 85; 35 Hunde, 30 Katzen und Kleintiere wie Meerschweinchen, Kaninchen, Vögel, Wasserschildkröten.

Welche tierischen Gäste waren die ungewöhnlichsten?
Von der Maus bis zum Pferd hatten wir schon alles, darunter eine Vogelspinne, eine große Spornschildkröte, einen Skorpion, einen Präriehund und Schlangen, zuletzt eine 2,50 Meter lange Boa. Ein Waschbär wurde am Domplatz aus einem Baum „gepflückt“. Zunehmend sind es Wildtiere. Die Stadt ist sehr grün, das zieht sie an. Uns werden Feldhasen gebracht, Rehkitze, Marder, Füchse, Igel, kleine Vögel. Dazu muss man allerdings wissen: Hasen lassen ihre Nachkommen im grünen Schutz, von dort sollte man sie nicht mitnehmen. Auch wenn Jungvögel auf der Erde hüpfen, kümmern sich die Elterntiere. Deshalb die Bitte an alle: Nicht anfassen! Nicht in die Natur eingreifen! Nach menschlicher Berührung gehen die Tiereltern nicht mehr an den Nachwuchs. Verletzten Tieren zu helfen ist in Ordnung. Aber viele nehmen die Jungtiere aus Unkenntnis mit. Das ist oft ihr Todesurteil.

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, was wäre das?
Oh ... Ich freue mich, wenn unser Ersatzneubau im Sommer fertig wird. Damit verbessert sich die Unterbringung für exotische und Kleintiere. Ansons-ten: So viele schwarze Schafe es gibt unter den Tierhaltern, so viele gute Menschen gibt es – und die unterstützen uns, mit Futtermitteln, Sach- und Geldspenden, Arbeitseinsätzen. Dafür möchte ich Danke sagen.

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