Standpunkt Breiter Weg: Die dunklen Seiten des Internets

Der rechtsextremistische Terroranschlag von Stephan B. auf die Synagoge in Halle, in dessen Folge zwei Menschen starben und zwei verletzt wurden, hat die Sicherheit von Juden in Deutschland infrage gestellt. Sicherheitsbehörden müssen künftig noch sensibler und präventiver den Schutz jüdischen Lebens im Auge behalten. Es reicht nicht, die Tat zu verurteilen, wir müssen wissen, aus welchem Sumpf solche Täter kriechen. Analysen dazu gab es schnell und viele. Die Sprache der AfD sei eine Quelle und wegen der Selbstisolierung des Terroristen sieht Bundesinnenminister Horst Seehofer außerdem eine Verbindung zur Gamerszene. Beide Erklärungsversuche greifen leider zu kurz. Dass jemand die bewusste Tötung von Menschen beabsichtigt, ist die fürchterlichste Grenzüberschreitung, die man sich denken kann. Dafür muss sicher einiges zusammenkommen.

Dass nach wie vor antisemitische Verschwörungstheorien und Hass auf Juden in den Köpfen kursieren, ist eine erschreckende Tatsache. Noch hilfloser steht man davor, dass solche kruden Gedanken immer wieder verbreitet werden. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass das Internet Erklärungen für jedes Phänomen bietet. Außerirdische, Reptiloide, Illuminaten, heimliche Drahtzieher, unbekannte Strahlungen – die virtuelle Welt ist voll von Mystifizierung, Spekulation und Horrorgeschichten. Wer erst einmal von einem Erzählstrang fasziniert ist und solche Ideen weiter verfolgt, wird mit der Zeit immer tiefer in den Sumpf dieser Vorstellungen gezogen. Aus Neugier wird Glaube und daraus Überzeugung. In diesem psychologischen Muster funktionieren wir irgendwie alle. Die zusätzliche Gefahr, die von Tätern wie  Stephan B. ausgehen, ist, dass sie nicht sichtbar in eine Organisation bzw. in eine rechtsextreme Struktur eingebettet sind.

In Strukturen handelnde Personen kann man beobachten und eventuell durchdringen. Interaktion von Gruppen hinterlässt Spuren und erzeugt Aufmerksamkeit. Der empfängliche Geist eines Stephan B. entwickelte sich offenbar besonders im sozialen Rückzug. Gerade weil er durch Kontaktverluste in keine interaktive Kommunikation mehr eingebettet war, muss sich seine Vorstellungswelt in einseitige antisemitische Schuldfantasien verschoben haben.

Wir befinden uns im Irrtum, wenn wir glauben, solche Täterpersönlichkeiten anhand von Organisationen dingfest machen zu können. Ich befürchte, solche kranken Personen gedeihen in ihrer Onlinewelt weiter heran. Das Thema, wer welche Ideen und Inhalte ins Internet stellt, wird uns künftig noch viel mehr beschäftigen. Menschenverachtende Botschaften müssen identifiziert und ausgemerzt werden. Gegenstandpunkte im Internet zu bekunden, wird wenig nutzen, sie könnten pathologische Geister eher noch zu ihren Taten motivieren. Thomas Wischnewski

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