Langsamer Leser

Geburtstag

Ich weiß gar nicht, ob Sie das was angeht. Aber es bewegt mich doch. Heute ist der erste Geburtstag meiner Frau, den ich ohne sie feiern muss. Wir, die wir so vieles gemeinsam haben, sind derzeit den größten Teil des Tages getrennt. Für mich immer noch unvorstellbar. Sie merken, das wird ein sehr persönlicher langsamer Leser. Eben sprach ich einen jungen ägyptischen Arzt. Er nahm meine Schreibübungen wahr und fragte nach, ob es bei der Schreibkunst ähnlich schwierig sei wie in der Herzchirurgie, ob man Geschick, Talent und Fleiß zusammenbringen müsse. Das gilt für alle Künste, antwortete ich, selbstverständlich auch für die ärztlichen. Ohne dieses Bestreben sollte eine Kunst gar nicht erst beginnen. Das ist der Preis. Da waren wir uns schnell einig. Die Internationalität der Ärzte, Pfleger, Schwestern ist erstaunlich. Macht aber auch betroffen. Wie viele Menschen ziehen wir aus anderen Ländern ab, die dort nicht mehr helfen können? Und was lerne ich gerade in diesem Umfeld über mich? Dass ich ungeduldig bin, wusste ich vorher. Dass ich ein Kämpfer sei, sagte kürzlich ein pakistanischer Arzt. Das schmeichelt, aber das glaube ich nicht so ganz. Eher, dass ich nicht viel aushalte. Schnell einlenke. Zu schnell. Meine Frau kann davon erzählen. Ach ja, sie hat heute Geburtstag. Sie fragte kürzlich, ob wir nicht viel früher mehr Zeit füreinander hätten gönnen sollen. Wie, fragte ich, Wir? Ich hätte Koffer packen sollen? Das wäre mir schwer gefallen. Andererseits ist es eine Entschuldigung, dass es mir schwer gefallen wäre.

Vockerode

Eine Frage hätte ich an unseren Ministerpräsidenten frei: Sehr geehrter Herr Dr. Haseloff, aus welchem Grund, fragte ich mich, als ich ein Wochenende durch Vockerode ging, hat man den ungeliebten Ort des Gartenreiches eigentlich bisher noch nicht für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen? Weshalb man das hätte tun sollen? Michael Marquardt, ehemals Vorsitzender der Auslandsgesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt, erzählte mir, dass er am runden Tisch in Vockerode bei immerhin bis zu 750 Asylbewerbern in einem Ort mit 1.500 Einwohnern nicht hörte: „Ausländer raus!“, sondern: „Wir haben ein Problem, beispielsweise die Überfüllung des Schulbusses. Wie lösen wir das?” Diesen Ansatz habe ich anderenorts nie gehört. Ausgerechnet in unseren Zeiten wäre das ein mutiges Signal, weil Vockerode ein Beispiel ist. Natürlich auch mit rechten Gegenreden, wie in einer Demokratie üblich. Vielleicht das erste Mal, das Bundesverdienstkreuz an die Schultern der Gemeinde zu heften. Am besten bei der Einweihung des Bürgerhauses.

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