Langsamer Leser: Rauchzeichen

Hätte einer der vielen Polithelden, die sich nach Hamburg bemüßigt fühlten, mehr oder weniger gestelzt ihre Empörung kundzutun, Heuchler allesamt, denn wenn man mal die versammelte Führerschaft der Welt in Hamburg bei Lichte betrachtet, kommt da allemal ein Mehrfaches an krimineller Energie zusammen, an Gewaltbereitschaft, wie sie der ominöse „schwarze Block“ überhaupt je hätte an den Tag legen können – nur dass man im Falle Trump beispielsweise nicht von Mordinstrumenten spricht, sondern von der „Mutter aller Bomben“, die ihre Opfer wahrscheinlich mit einer Gute-Nacht-Geschichte in den ewigen Schlaf schickt – also: Hätte auch nur einer dieser meiner Volksvertreter den Mut und die Einsicht gehabt und in die Kamera den Satz gesprochen: „Wir müssen uns fragen, was wir, die Menschen, die in ihre Verantwortung gewählt worden sind, falsch gemacht haben, dass junge Menschen bereit sind, sich in solcher Weise zu radikalisieren.“ Ich hätte ihn und die Partei, für die er das gesagt hätte, zur Bundestagswahl gewählt. So stehe ich nun wieder im Regen.
Weil die Heuchler tun, was Heuchler stets tun: Mit dem Finger auf den anderen zeigen. Der muss zurücktreten, die hat den falschen Ort ausgewählt und alle Zeitungen haben es eh schon immer gewusst. Und Dietmar Bartsch sagte kürzlich im ARD-Sommerinterview, dass die große, bunte Demo mit ca. 80.000 G20-Gegnern am Sonntag ja gezeigt habe, dass es geht. Er meinte, das sei eine friedliche, sozusagen die Demokratie unterstützende Demonstration gewesen. Ja, und mit den Linken hätten die Autonomen eh nichts zu tun. Und nun muss er mir freilich mal verraten, was denn eine solche, schöne, bunte Show, pardon Demonstration, denn anderes bewirke, als dass da vermutlich ein Folklore-Festival stattfindet. Deutschland ist fröhlich. Oder so ähnlich. Ist wenig medieninteressant. Bunt hatten wir schon in Woodstock. Und da gab es wenigstens aufregende Musik. In der Elbphilharmonie gab es Beethovens Neunte. Ich hätte gern mal zugeschaut, wie Old Donald die Strapaze überstanden hat.
„Was haben wir falsch gemacht?“ Nun, Mossul ist befreit. Eine wunderbare Trümmerlandschaft. War der IS. Ganz klar. Nein, der Verantwortliche für dieses ganze Elend sitzt irgendwo in den USA und verzehrt seine „Präsidenten-Pension“. Nicht einmal Obama hat es gewagt, Herrn Bush vor das Kriegsgericht zu stellen, den Kriegstreiber Dick Cheney ebenfalls nicht, und auch Herrn Rumsfeld entging dieses Schicksal. Tausende und abertausende sind verreckt und sterben heute noch, verlieren Arme und Beine, während diese Herren in ihren gesicherten Alterssitzen Ham and Eggs verzehren. „Was haben wir falsch gemacht?“ Waffen in Größenordnungen geliefert, zugeschaut, wie der Jemen in die Steinzeit bombardiert wird und kaum Geld dazu gegeben, um zumindest die gegenwärtige Hungersnot aufzuhalten. „Was haben wir falsch gemacht?“ Die Hände und Arme zum Himmel gestreckt, um den Nichtschwimmern unter den Flüchlingen, vor allem den afrikanischen Wirtschaftsflüchtlingen, die Haltung zu zeigen, die sie am schnellsten unter die Wasseroberfläche bringt, denn jeder Ersoffene muss auf dem Weg ins Paradies dann nicht mehr den Umweg über Deutschland nehmen. Nein, das ist noch längst nicht alles, was man da aufzählen müsste. Die Verlogenheit einer Gesellschaft darf man nicht vergessen, siehe oben. Wie sie vor Empörung pflichtschuldig zitterten. Der Lieblingssohn der SPD, Olaf Scholz hat eine einzige Hoffnung: Dass die Täter so hart wie möglich bestraft werden. Man hörte geradezu den dann doch nicht ausgesprochenen Satz: Seid Ihr für die Wiedereinführung der Todesstrafe? Ach so, das geht ja nicht. Da flögen wir aus der EU. Also hart bestrafen muss reichen. Der Bundesinnenminister, dessen Politik man nicht mehr ansieht, ob er sich nicht doch bei der AfD Beratung holt … Von niemandem habe ich im Vorfeld gehört: Wir setzen auf Deeskalation. Sicher haben die Vermummten die Polizei, und das auch wissentlich, mit ihrem Verstoß gegen das Vermummungsverbot provoziert. Die Frage ist, ob das ein kluges Konzept ist, eine bis dahin friedlich vor sich gehende Demonstration mit dem Hinweis auf die nicht zu akzeptierende Vermummung anzugreifen. Auch wenn man das Recht auf seiner Seite hat, ist manchmal Nachgeben das bessere Konzept. Aber da hätte man Deeskalation in seiner Strategie haben müssen. Und alle Besserwisser fordern jetzt Köpfe.
Wer trauert, legt zunächst einmal Wert auf eine stille Zeit, eine Zeit des Nachdenkens, der Umorientierung, den eigenen Frieden suchend. Wer erschrocken ist, legt zunächst einmal die Hand auf den Mund. Eine Geste der Weisheit. Anstatt mit Fingern aufeinander zu zeigen, täte eine politische stille Zeit gut. Aber die setzt voraus, dass man Fragen an sich selber, an die Nachbarn hat. Fragen setzen voraus, dass jemand bereit ist, seine bisherigen Meinungen auf den Prüfstand zu stellen, aus dem peinlichen Parteiengezänk auszubrechen, weil sie oder ihn jetzt etwas umtreiben müsste, die Frage nämlich, woran es liegen könne, dass so viele junge Menschen aus ganz Europa nach Hamburg reisen, um dort Krawall zu machen. Nein, es ging nicht um Plünderungen. Sven Becker vom Spiegel hat beobachtet, wie Trittbrettfahrer hinter den „Schwarzen“ die Läden plünderten. Der Hass der Jungen muss eine andere Ursache haben. Würden wir uns mehr mit den Ursachen beschäftigen, hätten wir rechtzeitig den IS verhindern können, hätte es die Jugendaufstände in London und anderswo nicht gegeben.
Ja. Niemand hat die entscheidende Frage gestellt. Wir stehen vor der Bundestagswahl. Ich hätte gern gewählt. Ich sehe keine Möglichkeit. Ludwig Schumann

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