Langsamer Leser: Feine Menschen

Unglaublich. Da kommt ein Monument auf die Bühne, im weiten Pelzmantel, setzt sich an den Flügel, es ist noch kein Ton gespielt, da tobt der Saal bereits. Sie schlägt die ersten Akkorde an, beginnt einen ihrer bekanntesten Songs zu singen – und, glauben Sie es oder nicht: Hier habe ich eine Gemeinsamkeit mit Obama entdeckt: Bei diesen ersten Tönen – und ich war viel weiter, zeitlich wie lokal, vom Geschehen entfernt als der US-Präsident – aber beide hatten wir eine Träne im Auge, er im Saal, ich vor meinem Computer: Aretha Franklin sang anlässlich der Auszeichnung der Singer/Songwriterin Carol King 2015 mit dem Kennedy Center Honors ihren von King/Goffin geschriebenen Hit „You Make Me Feel Like A Natural Woman“ aus dem Jahr 1967. Was für eine Vorstellung. Aretha Franklin zelebrierte eine Messe. Ihre große Kunst bestand darin, mit ihrer Stimme ihre Hörer in deren Seele zu treffen, sie zu umschmeicheln, zu bewegen. Im Hören dieser Stimme wollte man unbedingt ein besserer Mensch werden. Das ist ihr eigentliches Faszinosum. Selbstverständlich steht irgendwann die begeisterte Gemeinde auf und bringt ihr die Ehre. Wer ein Gefühl dafür erhalten will, was diese großartige Künstlerin auszeichnete, sollte sich diesen Auftritt nicht entgehen lassen. Dass Obama einen besonderen Draht zu ihr hatte, zeigte sich, als Aretha Franklin bereits im Jahr 2009 anlässlich der ersten Amtseinführung vor zwei Millionen Menschen sang und seither immer mal wieder zu den White-House-Konzerten eingeladen wurde.

Mich beeindruckte bereits 1967 die Kraft und das Selbstbewusstsein in ihrer Interpretation des Otis-Redding-Titels „Respect“. Das war nicht nur Rhythmus und eine auf den Punkt gebrachte, aus dem Gospel stammende soulige Stimmgewalt. Was diesen Song so überzeugend machte, war die Unbedingtheit, war die Spiritualität ihrer Interpretation. Diese Spiritualität – nicht umsonst kürte sie die Musikzeitschrift Rolling Stone 2010 zur besten Sängerin aller Zeiten – erklärt auch, weshalb „Respect“ zur Hymne der Frauenbewegung in den Staaten werden konnte, zumal der afroamerikanischen Frauen. Die „ZEIT“ erklärte „Respect“ gar als „Manifest des schwarzen Befreiungskampfes“.

Aretha Franklin wurde am 25. März 1942 in Memphis,Tennessee geboren. Ihr Vater war Bap-tistenprediger. Die ersten musikalischen Schritte machte sie mit ihren Schwestern im Chor der „New Bethel Baptist Church“ in der Kirche ihres Vaters. Hier, in dieser Kirche, erlebte sie auch Mahalia Jackson, Sam Cooke oder die Ward-Sisters. In einem solchen musikalischen Umfeld war es nur eine Frage der Zeit, dass Aretha Franklin über den Gospel hinaus zum Soul kam, aber bei dessen Interpretation die Spiritualität immer als Grundlage behielt. Das machte sie, die für Glanz und Glamour wenig geschaffen war, so besonders. „I Never Loved A Man (The Way I Love you)“ ist ein ihr und ihrer ungeheuren, erdigen Kraft entgegenkommender Song, aus dem man nicht unbeteiligt entlassen wird. Wie gesagt, seit 1967 gehörte Aretha Franklin zu den Stimmen, die immer wieder in den Zeiten auftauchten und Wunderbares zu vermelden hatten. In ihrer Aufnahme von „Jumpin´ Jack Flash“ mit Keith Richards an der Gitarre und Whoopy Goldberg als unfreiwilliger Background-Sängerin zeigt sie mühelos auf, wo Barthel seinen Most holt. Da kann sich Mick Jagger noch etliche Scheiben abschneiden, wie man bei Stimme, bei einer Stimme, die die Seele berührt, die die Erde zum Blühen bringt, ohne Arschwa-ckeln ein Feuerwerk entfachen kann, das tief aus der Erde kommend weithin den Himmel in ein kaum noch beschreibbares Licht taucht. Ja, für mich hat sie seinerzeit mit ihrer Stimme den Himmel auf die Erde geholt. Dafür sei ihr Dank und keine Träne zu schade. Ich sehe es vor mir, wie „das Wolfgangerl“ Aretha die Partituren für die Zauberflöte in die Hand drückt und das Orchester schon mal Aufstellung nimmt. „Endlich!“, sagt „das Wolfgangerl“, „ich habe lange gewartet.“ 76 Jahre ist sie geworden, ehe sie der Bauchspeicheldrüsenkrebs heimholte.

(Ooo) Was du willst
(Ooo) Baby, ich hab es
(Ooo) Was du brauchst
(Ooo) Weißt du, dass ich es habe?
(Ooo) Alles worum ich bitte
(Ooo) Ist ein bisschen Respekt,
wenn du nach Hause kommst (nur ein bisschen)
Hey Baby (nur ein bisschen),
wenn du nach Hause kommst
(nur ein bisschen) Herr! (nur ein bisschen)

An einen zweiten feinen Menschen, den wir verloren haben, will ich erinnern: Kofi Annan, dem ghanaischen Diplomaten, Generalsekretär der Vereinten Nationen 1997 bis 2007.  Am 60. Jahrestag der Befreiung der überlebenden Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 2015 erinnerte Kofi Annan daran, dass die UNO als Antwort auf „das Böse des Nationalsozialismus“ gegründet worden sei: „Alles, was das Böse braucht, um zu triumphieren, ist das Schweigen der Mehrheit.“ So lautete die Warnung in seiner Rede. In seinem letzten Tweet vom 7. August 2018 erklärte er mit Blick auf die politischen und Umweltfragen: „Wir haben die Mittel und das Vermögen, unsere Probleme zu lösen, wir brauchen nur den politischen Willen.“ Er war kein lauter Agitator. Der 1938 in Kumasi an der Goldküste geborene Kofi Annan gehörte schon rein familiär zur Elite seines Landes. Er verbrachte sein gesamtes Berufsleben bei der UNO. Er war die stille Stimme der Vernunft in der und für die Welt.

Seiner Meinung nach war der Angriff auf den Irak illegal. 2001 erhielt er den Friedensnobelpreis für seinen „Einsatz für eine besser organisierte und friedlichere Welt.“ Bis zuletzt engagierte er sich für den Frieden in der Welt, jetzt gerade eben für die muslimischen Rohingya. Gegenüber der amerikanischen Regierung führte er unlängst per Tweet ins Feld: „ Keine Nation kann mit Sicherheit gewinnen, indem sie Überlegenheit über andere anstrebt.“ Das bezog sich deutlich auf die USA unter Trump. Hellwach, aber mit einer Grundgüte und Liebe zu den Menschen ausgestattet, beobachtete er die Welt. Von ihm kam der Vorschlag an die Weltregierungen, alle Drogen freizugeben, um auf diese Weise die Zahl der Opfer in einem erträglichen Maße zu halten: „Ich glaube, dass Drogen viele Menschenleben zerstört haben – aber falsche Maßnahmen seitens der Regierungen haben noch viel mehr Elend angerichtet.“ Aus diesem Grund plädierte er dafür, den Drogenkonsum zu entkriminalisieren.

2006, anlässlich der UN-Klimakonferenz in Nairobi, wies Kofi Annan auf ein anderes, überlebenswichtiges Thema hin, auf das der Erderwärmung. Diesem Thema, so forderte er, sollten sich die Regierungen ebenso widmen wie Kriegen, Armut, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Und, natürlich, die Bildung lag ihm am Herzen: „Ignoranz und Vorurteile sind die Diener der Propaganda.“

Mit Kofi Annan ist, wie mit Aretha Franklin, ein feiner Mensch mit Herzenswärme, Sendungsbewusstsein und einem Gutteil Spiritualismus von uns gegangen, dessen Zuwendung zum Menschen sich aus genau diesem, seinem Spiritualismus speiste, trotz der vielen Enttäuschungen, die auch er erleben musste. Wir sind zunächst erst einmal ärmer geworden. Ludwig Schumann

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