Gedanken- und Spaziergänge im Park: Sprachliche Verirrungen

Gerd und ich stapften etwas missmutig durch den Stadtpark. Die feuchte Kälte machte uns miesepetrig. Wir folgten mehr den Gesundheitsratschlägen unserer Ärzte als der Freude am Spazierengehen. „Ich habe mich in letzter Zeit vermehrt der guten deutschen Literatur zugewandt. Thomas Mann, Hermann Hesse, Tucholsky, Fontane und so“, sagte Gerd zu mir. „Das hast Du doch alles schon gelesen, manches sogar zweimal.“ „Das stimmt“, erwiderte er, „aber meine Sehnsucht nach klarer deutscher Sprache ist groß. Wenn ich erlebe, wie mit ihr in Zeitungen, in Rundfunk- und Fernsehensendungen oder im Alltag umgegangen wird, graut es mir. Du weißt ja, weder Du noch ich sind Reinheitsfanatiker, die etwas gegen Lehn- oder Fremdwörter haben. Es muss jedoch vernünftig Gebrauch davon gemacht und nicht aus Prahlerei der inflationären Verwendung von Fremdwörtern Vorschub geleistet werden – nach dem Motto: ach, wie klug, gebildet und international man doch sei.“

Es fiel uns leicht, dafür passende Beispiele anzuführen. So nennt sich ein harmloser Häkel- und Strickverein in Magdeburg „kindness“. Übersetzt heißt das Wort Freundlichkeit. Hätte das nicht gereicht? Man kennt das Wort und hört es gern; es zieht an, während manchen die Bedeutung der englischen Vokabel gar nicht bekannt ist. Auf Kongressen gibt es keine Preise oder Auszeichnungen mehr, sondern nur noch „awards“. Lediglich der Urologenkongress verlieh noch altmodisch Preise. Falschmeldungen sind ebenfalls ausgestorben. Die heißen jetzt „fake news“. Was soll das? Eine Reihe der online-Volkshochschule nennt sich „smart democracy“. Man kann smart bequem mit intelligent oder klug übersetzen und das Wort Demokratie ist nun wirklich ein gutes Wort. „Siehst Du“, warf ich ein, „online ist auch so ein Fremdwort, das so selbstverständlich geworden ist und das ich gern akzeptiere. Nahezu alles aus der Computerfachsprache kommt aus dem Englischen und ist insgesamt ein Teil unserer Sprache geworden. Aber weißt Du eigentlich, dass das Wort Computer von dem lateinischen „computum“ kommt? D.h. zu Deutsch Zählwerk. Und als computum bezeichnete man im Mittelalter die Kette aus Holzperlen, mit denen man aufgegebene Gebete abzählte. Später nannte man dieses computum Rosenkranz.“ „Das ist wenigstens sinnvoll. Weißt Du was ein „influencer“ ist?“ „Vielleicht jemand der eine Grippe hat, also eine Influenza?“ Gerd lachte laut und erklärte mir, dass das die Bezeichnung für meist junge Menschen ist, die im Internet Werbung für Produkte machen und damit angeblich Einfluss auf das Kaufverhalten anderer Menschen ausüben. Meine Umdeutung sei genauso hübsch wie die, die er für eines der neuen Lieblingsworte „gendermainstreaming“ gehört hatte. Da hatte sich jemand an das Wort folgendermaßen herangetastet: Streaming ist das Strömen, main bedeutet haupt- oder wichtig und gender Geschlecht. Gendermainstreaming heißt also Geschlechtshauptstrom, also „Samenerguss“! „Typisch Mann! Würden jetzt die Feministinnen aufschreien.“

Doch zurück in die Niederungen der Alltagssprache. Als wir jung waren, hießen Musiker z. B. „Sänger oder Liedermacher“. Reinhard Mey nennt sich heute noch so. Neuerdings heißt es bei Ankündigungen in Presse oder Rundfunk „Singer-Songwriter“. Um diesen Unsinn noch auf die Spitze zu treiben, kündigte man kürzlich eine Sängerin mit „Singer-Songwriterin“ an. Da gebraucht jemand die englische Sprache und hat keine Ahnung davon. Denn die deutsche weibliche Endung „-in“ gibt es im Englischen gar nicht. Das ist für ein öffentliches Medium schon peinlich. Viele Berufsbezeichnungen gelten im Englischen für beide Geschlechter. Wenn es eine englische weibliche Endung gibt, dann lautet sie „-ess“, zum Beispiel „prince“ und „princess“.

Natürlich gibt es auch keine kulturellen oder gesellschaftlichen Höhepunkte mehr, sondern nur noch „Highlights“. Bevorzugt man das englische Wort deshalb, weil mit dem Begriff Höhepunkt vielleicht etwas Sexuelles assoziiert wird? „Werd’ nicht albern!“ ermahnte ich Gerd. Da fiel ihm noch etwas ein. Kürzlich habe er gelesen, dass für die Reparatur der alten Orgel unseres Domes Geld gesammelt würde. Aber es wäre bei der entsprechenden Bank durch „fund raising“ noch nicht genug zusammengekommen. „Also ich wusste nicht, was dieser Begriff bedeutet und wenn ich das nicht weiß, gebe ich auch kein Geld. Wer weiß, was dahinter steckt? Und ich bin mir sicher, dass die zahlreichen Leser mit diesem Begriff genauso wenig anfangen können. Spendenkonto klingt doch nicht schlecht, oder?“ Ich konnte ihm da nur beipflichten und erzählte ihm dann, was mir kürzlich beim Radiohören aufgefallen war. Einer meiner Lieblingssender ist ja „MDR Figaro“, der sich aus unerklärlichen Gründen seit Längerem „MDR Kultur“ nennt. Oder sich im Zuge einer verordneten Vereinheitlichung neu benennen musste, weil andere dritte Rundfunkprogramme alle Kultur heißen? Verstehen tu ich es nicht, denn MDR Figaro war ein Begriff und ein vorzügliches Markenzeichen. Jedenfalls gibt es da eine Sendung mit klassischer Musik, die auf Englisch mit „classic in concert“ angekündigt wird. Geht das nicht auch auf Deutsch? Dass kleine und große Galerien kaum noch eine Ausstellung in Deutsch ankündigen, gehört auch zu diesem Thema. Das sich stets international gebende Kunstmuseum bereitet eine Ausstellung mit dem Titel „StoryWorks“ vor. Dabei soll es um die Geschichten hinter den Kunstwerken gehen. Gute Idee, aber warum dieser Titel? Besondere Anziehungskraft strahlt er nicht aus. Auch gegenwärtig ausstellende Magdeburger Fotografen reihen sich da ein, indem sie ihre Ausstellungen „Flowers of another World“ oder „City Lights“ betiteln. Dabei geht es nicht um Motive aus aller Welt, sondern lediglich um durchaus schöne Bilder von Magdeburg und von Blüten der Region.

Zu allem Überfluss sind es nicht nur die Anglizismen, sondern auch die Behörden, die auf unsere Sprache einen schlechten Einfluss nehmen oder offene Fragen hinterlassen. So hat das höchste Gericht nun beschlossen, dass es außer männlich und weiblich auch ein drittes Geschlecht geben soll mit der Bezeichnung „divers“. So weit so gut, oder auch nicht gut, denn divers klingt nun wirklich nicht so schön wie weiblich oder männlich. Welches Personalpronomen kommt dabei zur Anwendung? „Er“ – geht nicht, „sie“ – geht auch nicht. Bleibt also nur noch „es“ übrig. Aber das wurde bisher für Kinder angewendet. Oder wie stellt man einen (eine?) Diverses vor? „Gestatten Sie, dass ich Sie miteinander bekannt mache: Herr Normalo, Frau Normalo und Divers Normalo.“ Offene Fragen, auf die der Gerichtsbeschluss keine Antworten gibt. Man kann diese Menschen ja nicht einfach mit Herr oder Frau anreden. Da tritt man vielleicht ins Fettnäpfchen. Und wie verhalten sich Genderisten mit ihren Sprachregelungen dazu? Bisher reichte ihnen ein Sternchen oder ein „Binnen-I“, wie z. B. Bürger*in oder BürgerIn, um beide Geschlechter „gendergerecht“ anzusprechen. Was wird nun mit der dritten Gruppe? Setzt man jetzt zwei oder drei Sternchen dazwischen? Keine Ahnung.

Wenn sich nun außerdem Behörden, wie gerade in Hannover um eine gendergerechte Sprache bemühen und das mit dem Argument begründen, dass sich eine Sprache entwickeln würde, wird es ganz verrückt. Natürlich entwickelt sich Sprache. Aber das tut sie allmählich und nicht auf aufgrund von Beschlüssen irgenwelcher Bürgermeister. In Hannover schafft man zugunsten eines gemeinsamen Tätigkeitssubstantiv einfach männlich und weiblich ab. So gibt es schon länger keine Studenten und Studentinnen mehr, sondern nur noch Studierende. Und in Hannover soll es u.a. keine Wähler und Wählerinnen mehr geben, sondern Wählende. Nebenbei bemerkt, zeigt das bei mancher Wortschöpfung ein geringes Sprachverständnis. Denn „Wählende“ bezeichnet Menschen, die in diesem Moment gerade eine Wahl treffen. Wahl ist aber kein Dauerzustand, sondern ein kurzer Moment. Solche Sprachregelungen erinnern sehr an die staatlich verordnete Sprache „Neusprech“ aus dem Roman von Orwell „1984“. Es geht dabei nämlich nicht um eine Verbesserung der Sprache, sondern nur und ausschließlich um Ideologie. Zu allem Überfluss tauchte natürlich noch bei uns die Frage auf, ob die städtischen Angestellten der betreffenden Landeshauptstadt wirklich nicht ausgelastet sind und nichts Besseres zu tun haben, als nun alle Formulare zu überprüfen und zu ändern? Muss man dafür extra Personal einstellen? Und kostet das nichts? Alte Formulare wegwerfen und neue dru-cken?

Irgendwie konnten Gerd und ich uns des Gedankens nicht erwehren, dass es uns hierzulande anscheinend viel zu gut geht und manche Behörde offensichtlich nichts Wichtigeres zu tun hat. Die eigentlich nützliche Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten wird durch solche Maßnahmen in den Augen der „Steuerzahlenden“ garantiert nicht angesehener. Wenn wir Bürger und Bürgerin bald zu Bürgenden machten, verändert sich unser Verhältnis zum Staat nur wegen eines Wortes maßgeblich. Ich würde für so einen Staat jedenfalls keine Bürgschaft übernehmen. Vielleicht ist es wirklich besser, wieder Tucholsky und Fontane zu lesen oder entsprechenden Behörden die Klassiker als Pflichtlektüre zu verordnen, so wie diese uns Schreibweisen verordnen. Paul F. Gaudi

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