Gedanken- und Spaziergänge im Park: Großes Kino

Gerd war aufgekratzt. Er war im Kino gewesen und hatte sich den Film „Der Vorname“ angesehen. „Ein herrlicher Film“, schwärmte er, „ernste Probleme anschneidend und dabei voller Witz und geistvoll.“ Ich musste ihm beipflichten, denn diese Mischung ist im deutschen Film selten. Die Filme von Loriot als auch die letzten Filme mit Didi Hallervorden sind da vielleicht beispielhaft. Ansonsten findet man eine humorvolle Behandlung ernster und zum Teil heikler Probleme fast nur in französischen Filmen. Zum Beispiel das Thema Behinderung im Film „Ziemlich beste Freunde“ oder die witzige Entlarvung des verdeckten Rassismus im Film „Die Töchter des Monsieur Claude“. Meistens ist der „lustige“ deutsche Film plump und platt, teilweise zotig und überschreitet manchmal die Grenzen des guten Geschmacks. Dagegen ist der Film „Der Vorname“ wahrlich gelungen, trotz seines ernsten Anliegens. Wenn sonst in Deutschland ein Film ein ernstes Problem behandelt, so fehlt fast immer eine lächelnde Betrachtungsweise, gewissermaßen ein weises Darüberstehen. Im Gegenteil, man spürt eher den mahnend oder sogar drohend erhobenen Zeigefinger. „So eine Mischung aus protestantischer Sonntagspredigt und Parteilehrjahr“, meinte Gerd. „In der Tat, manchmal gibt es da kaum einen Unterschied“, musste ich ihm lachend beipflichten. Im genannten Film geht es kurz gesagt darum, dass in einem Geschwister- und Freundeskreis ein werdender Vater die Anwesenden damit provoziert, dass er aus Spaß behauptet, er werde seinem Sohn, der demnächst auf die Welt kommen wird, den Vornamen Adolf geben. Und schon geht ein großes Geschrei los, das im Verlauf des Filmes zu allerlei Verwicklungen und Enttarnungen führt.

Das Gespräch führte uns teils ernst, teils heiter zu verschiedenen „Erbschaften“ der NS-Zeit. Da wird manchmal Streit um Worte geführt, die es so lange vorher oder lange danach noch gab und gibt, und einzelne Worte oder Sätze müssen als Belege für ein „rechtes“ Denken herhalten. So erinnerten wir uns, dass uns das Wort „völkisch“ – das heute von linken Journalisten oder Politikern stets als Vorwurf gebraucht wird – das erste Mal wieder begegnete, als vor etwa drei Jahren in einem Interview Frauke Petri (damals noch AfD) gefragt wurde, was sie von dem Wort völkisch hielte. Sie antwortete darauf, dass sie das Wort noch nie gebraucht habe, es aber nicht unbedingt für verdammungswürdig hielte. Seitdem ist es in der Medienwelt präsent und wird gern als verbale Waffe von Links und Grün gebraucht. „Was müsste man alles als völkisch oder als rechts bezeichnen, nehme man diese Albernheiten ernst“, sagte Gerd. „Nimm dir einmal die blonde Haarpracht des schönen Anton Hofreiter von den Grünen vor. Die ist doch wahrhaft völkisch.“ „Wie kommst Du denn darauf?“ „Aus der Geschichte“, antwortete er. „Schau Dir die alten Römer mit ihrem meist wohl frisierten Kurzhaarschnitt an und das gegen die Germanen mit ihren mindestens schulterlangen Haaren. Lange Haare sind also germanisch und damit völkisch. Nicht umsonst hatten Deutschnationale während der Napoleonischen Besatzungszeit und in der darauf folgenden Metternich-Ära meist offene, lange Haare getragen. Wenn das nicht völkisch ist!“ „Gut, wenn man es so sieht. Dieser Kampf gegen Namen und Begriffe erinnert doch an spätmittelalterliche Bilderstürmerei.“ „Nimm doch einmal die Frontfrau der Grünen, Katrin Göring-Eckardt. Die ist doppelt gestraft und müsste sich eigentlich umbenennen. Dar Nachname Göring erinnert eindeutig an den Reichsmarschall Hermann Göring. Dazu ausgerechnet der zweite Nachname Eckardt. Wo doch Dietrich Eckart (1868-1923) ein Vordenker der nationalsozialistischen Ideologie und der erste Chefredakteur des „Völkischen Beobachters“ war. Ich staune, wie die Frau das aushält.“ „Um Gottes willen, hör auf. Die eigene Sprache und alle Namen scheinen ein einziges Minenfeld zu sein!“ „Ja, wenigstens in Deutschland. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass es in anderen Ländern ähnlich ist.“

Dazu passt wohl auch die von der Antonio-Amadeo-Stiftung für Kindergärtnerinnen herausgegebene Broschüre „Ene mene muh – und raus bist du“. In ihr werden Kindergärtnerinnen und Lehrer aufgefordert, auf eine „völkische“ Erziehung und entsprechende Familien zu achten und dies offen anzusprechen. Solche Anzeichen würden bei Mädchen zum Beispiel durch Tragen von Zöpfen und durch Beschäftigung mit Handarbeiten sichtbar, bei Jungen sei es oft körperliche Ertüchtigung. Und überhaupt würden diese Kinder wenig von zu Hause erzählen und – man höre und staune: diese Kinder verfügten über gute Disziplin! Gute Disziplin scheint demnach ein Erziehungsdefizit zu sein und zur Ablehnung von Demokratie führen? Wer hätte das gedacht. Außerdem würden sich betreffende Eltern häufig über Frühsexualisierung im Kindergarten beschweren. „Das ist ja kaum zu glauben, das ist ja ein Aufruf zur Denunziation.“ „Und unsere Familienministerin hat dazu sogar ein Vorwort geschrieben.“

„Bedenkt man, dass die Vorsitzende der Stiftung, die diese Broschüre herausgibt, die ehemalige IM „Victoria“ ist, die die Gebrüder Braasch, wie in Wikipedia nachzulesen ist, bei der Stasi anschwärzte, dann passt das irgendwie zusammen.“ „Nun ja, Denunziation scheint wieder in Mode zu kommen.“ „Was meinst Du damit?“, fragte Gerd. „Denk einmal daran, was sich kürzlich das sogenannte „Zentrum für politische Schönheit“ geleistet hat. Diese Vereinigung hat Aufnahmen von der großen Demonstration nach der Ermordung des deutsch-kubanischen Mannes und den Verletzungen von zwei anderen jungen Männern – über die eigentümlicherweise überhaupt nichts berichtet wird – in Chemnitz mit vielen Gesichtern von Demonstranten in das Netz gestellt und dazu aufgerufen, Namen, Adressen und möglichst Arbeitsstellen der dort Gezeigten zu benennen und öffentlich zu machen. Das ist der Gipfel an Unkultur und politischer Hässlichkeit. Menschen, die gegen Morde demonstrieren sofort als „Nazis“ zu diffamieren und wie im Mittelalter öffentlich an den Pranger zu stellen und zu denunzieren.“ „Das ist schlimmer als bei der Stasi, die tat es nur heimlich. Aber das hier hat etwas von Nazizeit mit Blockwarten. Solche Blockwarte hatten sich bei Familien, Jugendlichen und Bewohnern erkundigt, ob „Feindsender“ gehört wurden und gefordert, acht zu geben sowie entsprechende Vorfälle zu melden.“

Wir waren uns einig darüber, dass so etwas in einer demokratischen Gesellschaft nicht sein dürfe und wenn es doch stattfindet, dann ist diese Gesellschaft zutiefst erschüttert und destabilisiert. Wir fanden es erstaunlich, wie milde Presse, Rundfunk und Fernsehen, zum Beispiel der Deutschlandfunk oder die Kulturzeit in 3Sat, darüber berichteten. Eigentlich hätte eine Welle der Empörung durch das Land gehen müssen. „Ob dieser Verein Fördergelder bekommt?“, fragte ich Gerd. „Keine Ahnung, aber möglich ist alles.“ Es ist wirklich erstaunlich, was man heutzutage unter dem Hinweis auf die „Freiheit der Kunst“ alles machen kann. Zur Denunziation auffordern, an den Pranger stellen oder mit brutalen Texten Polizisten zu diffamieren und zu Gewalt aufrufen. „Ich stelle mir vor“, sagte Gerd, „ich würde vor dem Bundeskanzleramt die Hosen runterlassen und einen Haufen dorthin setzen. Wenn man mich dann wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zur Rechenschaft ziehen will, würde ich sagen, dass das eine künstlerische Aktion sei. Mit Hinweis auf die Freiheit der Künste würde ich verlangen, mich wieder ziehen zu lassen.“ „Naja, einen namhaften Verteidiger hättest Du ja. Denn Joseph Beuys definierte einmal Kunst so: Kunst ist das, was Künstler machen.“ „Genau, dass – wie man früher sagte – Kunst von Können komme, dieser Satz gilt spätestens seit dem Dadaismus nicht mehr. Allerdings ist der Film ,Der Vorname’ eine Ausnahme.“ Paul F. Gaudi

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