Gedanken- und Spaziergänge im Park: Ausgrenzung

Die Republik atmet auf: Görlitz bekommt keinen AfD-Bürgermeister. AKK (das ist nicht der Name einer Krankenkasse, sondern die Abkürzung für Annegret Kramp-Karrenbauer) jubelte und sprach von einem Sieg für die CDU. Was natürlich Unsinn ist, denn es war der Sieg, jedenfalls nannte man das früher so, der Nationalen Front. Alle Parteien hatten sich gegen den AfD-Kandidaten zu einer Einheitsfront zusammengeschlossen. Die Frage bleibt, ob das gut war. Man fühlt sich an den König Pyrrhus von Epirus erinnert, der nach einer gewonnenen, aber verlustreichen Schlacht gegen die Römer (279 v. Chr.) ausgesprochen haben soll: „Noch solch ein Sieg und wir sind verloren!“

Altbundespräsident Gauck hat kürzlich gesagt, dass es falsch wäre, die AfD auf die Dauer so auszugrenzen, wie das bisher geschieht. Es gäbe auch einen gesunden Konservatismus mit dem man reden und verhandeln kann. Natürlich erheben sich gleich Stimmen gegen Gauck. Aber mein Eindruck ist, dass er über ein ausreichendes Maß an gesundem Menschenverstand verfügt, was vielleicht auch damit zusammenhängen mag, dass er kein Berufspolitiker ist und somit nicht auf eine Parteilinie eingeschworen ist. Es ist lächerlich, wie zum Beispiel die Wahl eines AfD-Politikers als stellvertretender Bundestagspräsident laufend verhindert wird. Das wirkt nur peinlich. Ebenso der Beschluss des Kirchentages, keinen AfD-Vertreter einzuladen. Aber diese Verordnung blieb nicht unwidersprochen. Der Präsident der evangelischen Kirche von Anhalt äußerte sich gegen diesen Beschluss. Dafür gab es zum Kirchentag nun einen Workshop „Vulven malen“! Als ich das Gerd erzählte, sagte er: „Das haben wir doch schon als Schuljungen gemacht! Mit Kreide an die Hauswand einen Rhombus (also was heute als Merkelraute bezeichnet wird) gestrichelt mit einem senkrechten Strich darin. Allerdings durften wir uns damals dabei nicht erwischen lassen.“

Es gibt eine konservative Haltung, die von der CDU nicht mehr oder nur noch unzureichend abgedeckt ist. Stattdessen benutzt man Untaten und Hassbotschaften von Rechtsextremisten allein dazu, die AfD dafür verantwortlich zu machen. Ich glaube nicht, dass das richtig ist. Umgekehrt wäre es genauso falsch, wenn man für Gewaltakte oder Hassbotschaften von Linksextremisten die Partei „Die Linke“ anschuldigen würde. Im Rundfunk und Fernsehen werden nur Hassbotschaften und Mordaufrufe erwähnt, die ganz offensichtlich von Rechtsextremisten kommen. Als ich vor knapp zwei Wochen aus dem Park über die Sternbrücke kam, sah ich an einer Hauswand eine fast zehn Meter lange giftgrüne Schrift: „Gebt Seehofer, was er braucht, 9 mm in den Bauch!“ und dahinter Hammer und Sichel. Ist das kein Aufruf zum Mord? Und von wem? Ja, gegen Hass, Hetze und Tätlichkeiten bis zur Tötung muss man mit aller Härte des Gesetzes vorgehen. Aber man sollte diese Untaten nicht instrumentalisieren, indem man sie als Waffe gegen vermeintlich politische Gegner benutzt. Doch in Zeiten bevorstehender Landtagswahlen wird so etwas offensichtlich gern getan.

Wenn man Menschen oder Gruppen ausgrenzt oder aussperrt, so erreicht man damit nicht, dass diese dahinschwinden. Asylsuchende dürfen ebenso nicht ausgegrenzt werden. Für Menschen mit Bleiberecht gilt Integration. Aber dieses „Schmoren im eigenen Saft“ der Ausgegrenzten führt zu Verhärtung und Radikalisierung und zieht damit extrem Denkende eher noch an. Erst durch die Akzeptanz Andersdenkender oder eben ein anderes Kulturverständnis sowie dem Dialog mit diesen kann es zu einer Wandlung und Entradikalisierung kommen, gewissermaßen zu einer „Zähmung“.

Die Älteren unter uns kennen sicher noch gut die Entwicklung der Grünen. Nach ihrer Gründung wurden sie wie Aussätzige behandelt. Sie galten als radikal und unangepasst. Als sie in die Parlamente einzogen, wurden sie scheel angesehen, weil sie sich nicht an die Kleiderordnung hielten, bei einer Vereidigung Turnschuhe trugen oder auch unflätige Bemerkungen im Parlament machten. Legendär noch der Ausspruch Joschka Fischers im Bundestag 1984: „Mit Verlaub Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“ Und was ist aus dem Revoluzzer, der sich früher in Frankfurt am Main mit Polizisten raufte, geworden? Er sitzt in einer feinen Villa am Wannsee und hat eine Consulting Firma namens JF&C, die internationale Konzerne wie zum Beispiel BMW, Siemens und andere berät. Welch wundersame Wandlung vom Ausgegrenzten zum perfekt Integrierten. Wundersam? Nein, normal. So geht es denen, die nicht mehr um Anerkennung im politischen System kämpfen müssen. Sie sind – trotz politischer Gegnerschaft – im Spiel der demokratischen Kräfte akzeptiert. Ähnlich bei Jürgen Trittin. War er anfangs ein maoistischer und trotzkistischer Kommunist, spricht er heute redegewandt und brav im feinen Zwirn. Auch mit den Linken als Erben der SED wollte erst niemand etwas zu tun haben. Und jetzt sitzen sie in so mancher Koalition und stellen einen Ministerpräsidenten.

Das sind nur einige Beispiele aus dem politischen Leben, die belegen, wie zuvor Ausgegrenzte und Radikale in den Politikalltag integriert werden können. Wenn man mit ihnen spricht und diskutiert, müssen durchaus Grenzen abgesteckt, aber auch mögliche Übereinstimmungen besprochen werden. Es nützt nichts, so zu tun, als gäbe es andere Meinungen nicht. Wenn man weiter ausgrenzt, erntet man nur eine weitere Polarisierung, die Verhärtung von Standpunkten und nährt den Boden für Radikalisierung. Das spaltet. Ganz abgesehen davon, dass solch ein Verhalten allen demokratischen Regeln widerspricht. Das Schaffen von Märtyrern hat eine Religion nie geschwächt, sondern stets gestärkt. In der Politik ist das nicht anders. Paul F. Gaudi

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