Gedanken- & Spaziergänge im Park: Sing, mei Sachse sing!

Eine Melodie pfeifend kam mir Gerd zu unserem verabredeten Treffpunkt entgegen. „Das kommt mir bekannt vor“, sagte ich, „das ist doch von Jürgen Hardt, oder?“ „Genau“, antwortete er, „Sing, mei Sachse, sing“. „Ja, das war wirklich ein schönes Lied von ihm.“ „Aber es ist auch hochaktuell“, meinte Gerd. „Wieso?“ Und Gerd zitierte die dritte Strophe:
Doch kommt der Sachse nach Berlin,
dort könn'se ihn nich’ leiden!
Da wolln'sen eene drüber ziehn,
da wolln'se mit ihm streiten!
Und tut mern ooch verscheißern –
sei' Liedchen singt er eisern.
Ich musste lachen und antwortete: „Das erinnert mich an meine Armeezeit, da gab es ein paar Mecklenburger, die den Satz drauf hatten: und wenn Du einen Sachsen siehst, vergiss nicht ihn zu schlagen!“ Diesen Satz kannte Gerd auch und meinte, dass die Redensart Gott sei Dank nicht in Taten umgeschlagen wäre. Dann führte er weiter aus, das Schlimme sei heute, dass sie die Sachsen nicht nur in Berlin oder in Mecklenburg nicht leiden konnten wie damals, sondern dass das ganze Sachsenland heute von tonangebenden Politikern und großen Zeitungen fast wie ein Pestgeschwür angesehen und behandelt würde. Das war schon seit dem Aufkommen von Pegida so, wäre jetzt über die Ereignisse in Chemnitz noch einmal eskaliert. Da musste ich ihm beipflichten, denn irgendwie hat das Ganze den Charakter einer bösartigen Kampagne. Journalisten und Politiker bezeichneten die Sachsen als Dunkeldeutschland, Mob, Nazis und Pack. Und warum? Weil sie anlässlich der Ermordung eines Chemnitzer Bürgers durch Asylsuchende ihrer Trauer und ihren Ängsten per Demonstration Ausdruck verleihen wollten. Ähnliches gab es in Kandel, in Fürth und anderen westdeutschen Städten – doch niemand beschimpfte die Bürger dort in derselben Weise. Ja, man wirft den Chemnitzern sogar vor, dass sie den Toten „instrumentalisieren“ würden.

1992 erschlugen rechtsextremistische Jugendliche in Magdeburg den Punker Torsten Lamprecht. Danach und an Jahrestagen erfolgten Protestdemonstrationen gegen diese Untat. In dem Falle erhob niemand den Vorwurf der „Instrumentalisierung“. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es offenbar noch lange nicht gleich. Aber die Chemnitzer Protestdemonstrationen wurden insofern von Regierungsmitgliedern, Politikern und Presse diffamiert, indem man behauptete, dass eine zügellose Hetzjagd auf Ausländer stattgefunden hätte. Die Behauptung beruht auf einem einzigen Video, auf dem zu sehen ist, wie ein schwarzgekleideter, vermutlich Deutscher hinter einem Ausländer herläuft – ohne Knüppel und Messer. Nach wenigen Metern dreht er ohne körperlichen Kontakt wieder ab. In der Folge gab es Aussagen des Chefredakteurs der „Freien Presse“ in Chemnitz, des zuständigen Generalstaatsanwaltes und auch des Leiters des Verfassungsschutzes, dass es keinerlei Anhalte für eine „Hetzjagd“ gab. „Warte mal“, unterbrach ich Gerd, „das erinnert mich an 1997, als ein sechsjähriger Junge namens Josef in einem Schwimmbad an Herzversagen ertrank und wochen- und monatelang behauptet wurde, dass er von einer Bande Neonazis ertränkt worden sei. „Bild“ titelte damals: „Neonazis ertränken Kind. Am helllichten Tag im Schwimmbad. Keiner half. Und eine ganze Stadt hat es totgeschwiegen.“  „Kübelweise Unrat wurde damals aus Presse und Politik über Sebnitz und die Sachsen ausgeschüttet,“ antwortete Gerd. „Und Bundeskanzler Schröder empfing sogar die trauernde Mutter. Das war zwar ein Irrtum, aber immerhin eine anständige Haltung. Dass Frau Merkel der Witwe des Chemnitzer Opfers kondoliert hätte, davon war nichts zu hören.“ „Opfer ist eben nicht gleich Opfer.“ „Ja, entscheidend scheint zu sein, wessen Opfer man ist.“

Doch Frau Merkel will das nicht sehen und steht zu der Aussage ihres Regierungssprechers, wenn sie sich auch etwas unklar ausgedrückt. Ähnlich wie auf dem CDU-Parteitag im Dezember 2016, wo sie in etwa sagte: „die Entscheidung von 2015 war richtig, aber darf sich nicht wiederholen.“ Ja, was denn nun? Diese Aussage ist widersprüchlich und unklar wie die Weissagungen des Orakels von Delphi, da musste sich auch jeder seinen Teil denken. Nein, es wird getan als stünde ein faschistischer Umsturz unmittelbar bevor. Es waren doch eher einfache Bürger, die im Wesentlichen friedlich ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen hatten. Sicher war darunter leider auch ein gewisser Prozentsatz an Rechtsextremen und es wäre gut, zu denen Abstand zu halten.

Bei Demonstrationen gegen Rechtsextremismus oder ähnlichem, die von Gewerkschaften, Linken, Grünen und oft mit Beteiligung der Kirchen veranstaltet werden, marschiert häufig der berüchtigte und zu Gewalt gegen Polizisten neigende „Schwarze Block“ mit. Haben sich die Demonstranten jemals von diesem distanziert? Es wird hingenommen, ohne dass eine kommunistische Weltrevolution befürchtet wurde. „Aber die Schadensbilanz?“, sagte ich. „Nun komm mir bitte nicht damit“, antwortete Gerd. „Laut einem Bericht in der ,Welt’ gab es bei dieser riesigen Menschenmenge von ca. 12.000 Demonstranten auf beiden Seiten wohl 38 Verletzte. Es wurde nicht aufgeschlüsselt, ob leicht oder schwer verletzt und es wurde auch nicht unterschieden, wer die Opfer waren, zum Beispiel wieviel verletzte Polizisten darunter waren. Ausländer waren bestimmt nicht dabei. Das wäre sicher hervorgehoben worden. Außerdem sollen über 40 Strafanzeigen wegen anderer Dinge erfolgt sein. Nun halte mal dagegen, was anderswo stattfand: in der Silvesternacht in Köln 2015 zu 2016 gab es 1.054 Strafanzeigen, davon 454 wegen Sexualdelikten! Und denke bitte einmal an das Chaos der Demonstrationen gegen den G20-Gipfel am 22. Juni 2017 in Hamburg. Da gab es allein 476 verletzte Polizeibeamte, dazu eine große Anzahl an brennenden Autos und Plünderungen eines Drogerie- und eines Supermarktes. Die Fernsehaufnahmen vermittelten Bilder wie aus einem Bürgerkrieg. Danach wurde nur halb so viel Wind gemacht und es gab nicht so viele Falschmeldungen wie jetzt nach Chemnitz.“

„Ja, das waren eben keine Rechten, sondern sogenannte Aktivisten!“ „Wenn die in Talkshows sitzenden Politiker ihre kostbare Zeit endlich für das seit zig Jahren überfällige Einwanderungsgesetz verwenden würden, dann hätte mancher Bürger vielleicht eine große Sorge weniger.“ „So ähnlich denken wohl auch Horst Seehofer und ein paar Tage vor ihm der Vizepräsident des Bundestages Kubicki  von der FDP. Beide vertraten die Auffassung, dass die Misere mit dem Merkelschem Blitzbeschluss 2015 begonnen und die Verunsicherung der Bevölkerung hervorgebracht hätte.“ Es scheint aber einen Unterschied in der Denk- und Erlebnisweise zwischen West- und Ostdeutschen zu geben. Könnte es nicht sein, dass Ostdeutsche erheblich allergischer reagieren, wenn sie auf einheitlich verordnete Meinungen von oben stoßen? Das kannten viele über 40 Jahre zur Genüge. Sie sind gewohnt, zu hinterfragen und fallen nicht auf eine diktierte „political correctness“ herein, sondern wollen, nachdem sie sich vom Druck der SED und des Neuen Deutschlands befreit hatten, selber denken und die Dinge beim Namen nennen. So fragen sie sich natürlich, ob dieser flammende Kampf der Politiker gegen einen angeblich neuen Faschismus und die AfD, die man am liebsten verbieten möchte, wirklich einer guten Sache dient oder ob es nicht vielmehr um Mandate und Diäten für Abgeordnetensitze geht. Ein Niedermachen der Demonstranten und der AfD wie bisher ist nutzlos und erzeugt vermutlich das Gegenteil. Der klügere Weg für die Parteien wäre eine harte Analyse nach eigenen Fehlern und Versäumnissen, aufgrund derer die AfD so viel Raum gewinnen und solch eine breite Kluft zu vielen Bürgern entstehen konnte. Daraus würde vielleicht ein Schuh. Solange gilt aber: Sing, mei Sachse, sing!

Zurück