Kinder an die Macht

Schüler bei der Demo „Fridays for Future“ auf dem Magdeburger Domplatz. Manche wurden von ihren Eltern mit dem Auto gebracht und abgeholt. Foto: Peter Gercke

„Fridays for Future“ – so das Motto, unter dem Schüler für eine andere Klimapolitik de- monstrieren. Einerseits werden sie gefeiert, andererseits gescholten. Manche ihrer Forderungen sind leider infantiles Wunschdenken und zeugen von mangelndem Zukunftsdenken.

Die 16-jährige Greta Thunberg aus Schweden bringt tausende Schülerinnen und Schüler in einer heiligen Sache von der Schule weg auf die Straße. Am 18. Januar sollen es in Deutschland 30.000 gewesen sein. „Schulstreik für das Klima", „Wir können nicht für die Zukunft lernen, wenn wir keine haben" und „Wir streiken bis ihr handelt“. Die Kinder verlangen nicht mehr, aber auch nicht weniger, als das Verbot der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle und Erdöl. Gaskraftwerke sollen gerade noch geduldet werden, denn das Verbrennen von Erdgas emittiert mit 0,2 kg pro kWh nur etwa halb so viel CO2 wie Braunkohle (ca. 0,4 kg). Aber der ganz große Wurf ist das auch nicht, zumal wir gar nicht über eigenes Erdgas verfügen.

Natürlich war es nicht nur der Protest der Kinder, der die Politiker zum Handeln gezwungen hat. Aber sie haben die Dinge auch mit vorangebracht. „Kinder an die Macht“ sang einst Herbert Grönemeyer: „Gebt den Kindern das Kommando, sie berechnen nicht, was sie tun, die Welt gehört in Kinderhände.“ Dass das einmal Ernst werden könnte, hat wahrscheinlich selbst Grönemeyer nicht gedacht. Nun liegt die Macht in Kinderhänden, oder wenigstens in den Händen von Politikern mit kindlichem Gemüt. Die berechnen nicht was sie tun. Greta und ihre „Follower“ feiern einen großen Erfolg, denn Deutschland hat den Kohleausstieg beschlossen. Aber sie streiken munter weiter. Das letzte Kohlekraftwerk wird spätestens im Jahr 2038 vom Netz gehen, so das Votum der Kohlekommission. Und schon bis zum Jahr 2022 werden Stein- und Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von rund 12,5 Gigawatt abgeschaltet, bis 2030 sollen dann weitere Blöcke mit noch einmal 13 Gigawatt Gesamtleistung folgen. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist ja schon lange beschlossen. Mit der Abschaltung des AKW Grafenrheinfeld am 27. Juni 2015 und Gundremmingen B am 31.12.2017 sind in Deutschland nur noch sieben AKW am Netz. Die drei jüngsten Reaktoren werden spätestens im Jahr 2022 abgeschaltet, die anderen 2019 und 2021.

Es wird viel darüber gesprochen, wie die wegfallenden Arbeitsplätze kompensiert werden sollen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ist optimistisch, dass der Kohleausstieg keine negativen Auswirkungen auf die Entwicklung der Strompreise und die Beschäftigung in den betroffenen Regionen haben wird. Das ist noch erstaunlicher als das, was uns damals Jürgen Trittin angekündigt hat. Der hatte immerhin zugegeben, dass die Energiewende den Bundesbürger Geld kosten wird. Aber es sollte einen durchschnittlichen Haushalt nur rund 1 Euro im Monat kosten – so viel wie eine Kugel Eis. Nun ist es ist doch etwas mehr geworden. „Die Energiewende kostet die Bürger 520 Milliarden Euro – erstmal“ schrieb „die Welt“ 2016. Da war aber der schnelle Kohleausstieg noch nicht dabei. Bezeichnend ist, dass zwar über Kosten und Beschäftigung gesprochen wird, was tatsächlich große Themen sind, aber kaum diskutiert wird, wie denn die künftige Stromversorgung sichergestellt werden soll. Stefan Klinkigt hat mal die Situation in Deutschland an einem ganz normalen Wintertag, nämlich dem 24. Januar 2019, mittags 12:31 Uhr dokumentiert. Deutschland hatte in diesem Moment einen Elektroenergiebedarf von 71,3 GW. Davon wurden aus fossilen/nuklearen Quellen bereitgestellt: 13% aus Kernenergie durch Nutzung von 100% der installierten Leistung, 45% aus Kohle durch Nutzung von 71% der installierten Leistung und 17% aus Erdgas durch Nutzung von 42% der installierten Leistung. Die in Deutschland z. Z. noch arbeitenden emissionsfreien Kernkraftwerke, die bis 2022 komplett vom Netz gehen müssen, laufen unter Volllast. Zusammen mit den Kohlekraftwerken, die derzeit den Hauptanteil der Stromerzeugung liefern, garantieren sie Versorgungssicherheit. Die schnell regelbaren Gaskraftwerke gleichen Schwankungen der Wind-und Sonnenenergie aus. Der Rest verteilt sich auf die sogenannten „erneuerbaren Energien“ und Pumpspeicherkraftwerke, die nach dem Willen der Streikenden und der machtausübenden Politker in Kürze die Versorgung sichern sollen: 3% aus Windenergie durch Nutzung von 3% der installierten Leis-tung, 4% aus Photovoltaik durch Nutzung von 6% der installierten Leistung, 8% aus Biomasse durch Nutzung von 72% der installierten Leistung und 3% aus Pumpspeicherwerken durch Nutzung von 22% der installierten Leistung. Insgesamt sind das 93% der Elektroenergie. Der Rest verteilt sich auf Importe aus Frankreich, der Schweiz und aus Tschechien, wobei es sich hierbei um die geschmähten Energien handelt. Man sieht, dass nach der Energiewende in Problemzeiten knapp zwei Drittel der gegenwärtig genutzten Energien nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Ein Zubau von Windkraft- und Photovoltaikanlagen bringt gar nichts, wenn Wind und Sonne wetterbedingt nicht liefern. Die große Vision ist der Ausbau eines Energiespeichersystems. Aber das einzige, was bisher funktioniert, sind Pumpspeicherwerke. Um diese im ausreichenden Umfang zu bauen, bräuchte es Jahrzehnte. Außerdem müssten wir dann viele Täler in unseren Mittelgebirgen dafür opfern. Da bin ich dann auch dabei, wenn die wahren Umweltschützer den Baggern mit Sitzblockaden den Weg versperren.

Kathi Gerstner, Sprecherin des Lausitzer Energieversorgers Leag, erklärte kürzlich: Je mehr Windanlagen und Solarkraftwerke es gibt, umso stärker wirke sich deren schwankende Einspeisung von Strom auf die Stabilität im Stromnetz aus. „Um diese Schwankungen auszugleichen, ist der Einsatz von Speichertechnologien notwendig.“ Leag will an seinem Standort Schwarze Pumpe den bisher größten Stromspeicher in einem deutschen Kraftwerk errichten. Der Batteriepark soll eine Fläche von 140 mal 20 Metern einnehmen und werde bis zu 50 Megawatt Strom speichern können. Das Vorhaben kostet rund 25 Mio. Euro. So bekommen wir endlich einmal eine Nutzen-Kosten-Information zur Energiespeicherung mit Batterien. Man stelle sich für die Zeit nach dem Kohle- und Atomstromausstieg eine europaweite Großwetterlage mit einer 2-wöchigen Dunkelflaute vor (das sind Zeiten ohne Sonne und mit wenig Wind), was nichts besonderes wäre. Nach einer Studie der Firma Powertech wäre dann eine Speicherkapazität von 21 Terawatt-Stunden notwendig. 21 Terawatt entsprechen 21 Mio. Megawatt, d.h. es würden ca. 40.000 Stück dieser 50 Megawatt Batterie-Speicher benötigt. Die Kosten würden 25 Mio. Euro x 40.000 = 1 Billionen Euro ausmachen. Zum Vergleich: Im Bundeshaushalt 2019 sind Ausgaben in Höhe von 356,4 Milliarden Euro vorgesehen. Die notwendigen Batterien würden also knapp das Dreifache des Bundeshaushaltes für das Jahr 2019 kosten! Selbst dann, wenn man in solchen Situationen die Hälfte des Energiebedarfes durch noch zu bauende Gaskraftwerke abfedern könnte, bleibt die Situation aussichtslos. Und die Gaskraftwerke würden ja in Hinsicht auf die CO2-Bilanz auch nicht alle Träume erfüllen!

Und dann ist da ja auch noch die Beschlusslage, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren verbieten zu wollen und nur noch Elektro-Autos zuzulassen. In Schweden, dem Land Gretas, soll es schon im Jahre 2031 so weit sein. Wir werden dem kaum nachstehen wollen. Bisher haben wir in Deutschland höchsten 1% Elektroautos. Ich versuche nicht, den Bedarf an Elektroenergie zu berechnen, der auftritt, wenn wir 10 bis 20 Mio. dieser Fahrzeuge haben. Die Akkus wollen mit rund 85 KWh aufgeladen werden und dies vorwiegend nachts, wenn die Sonne nicht scheint und auch der Wind meist mit geringerer Kraft weht. Das alles belastet die obige Rechnung des Energiebedarfs und der Speicherproblematik. Und noch mehr. Geht man einmal durch die Goethestraße in Magdeburg, sieht man, dass dort Autos dicht an dicht parken. Straßen wie diese gibt es in Deutschland zigtausende. Die alle brauchen eine Ladevorrichtung, also Stromleitungen und Energiezähler. Und dann müssen natürlich auch noch alle Kraftstofftankstellen durch Ladestationen ersetzt werden. Die brauchen sehr viele Ladeanschlüsse, denn das Laden der Akkus dauert lange. Es braucht Investitionen in Milliardenhöhe, die ich nicht beziffern kann. Wahrscheinlich kann das nicht einmal die Bundesregierung. Sogar der Grünenpolitiker Winfried Kretschmann nannte das kürzlich „Schwachsinn“.

Bisher haben wir immer nur das Geld thematisiert. Aber was ist eigentlich mit dem Stand der Technik, mit den Menschen und der Umwelt? Die Batterien, die in Autos verwendet werden und die auch als Großspeicher in Frage kommen, sind gegenwärtig Lithiumionen-Akkus. Sie enthalten neben Lithium auch Kobalt. Für eine E-Autobatterie werden davon etwa zehn Kilogramm benötigt. Zwei Drittel des Metalls, das derzeit weltweit verarbeitet wird (ca. 100.000 Tonnen im Jahr 2017), kommen aus dem Kongo. Es wird dort unter menschenunwürdigen Bedingungen gewonnen. Lithium-Akkus sind die Produkte, die die meiste vergegenständlichte Kinderarbeit enthalten. Auch die Handy-Akkus von Greta und ihren Mitstreikenden sind mit schmutzigem Kobalt produziert. Wäre es denkbar, dass die Jugendlichen so lange keine Handys haben wollen und auch ihren Eltern vom Kauf eines Elektroautos abraten, bis in den Kobaltminen Zentralafrikas nicht mehr versklavte Kinder arbeiten müssen, sondern diese zur Schule gehen können? Das wäre ein gutes Thema für die Schule am Freitag!
 
Aber auch die Lithiumförderung ist nicht unproblematisch. Chile gehört zu den Ländern mit den reichsten Lithium-Vorkommen. Konzerne bauen den Rohstoff in der Atacamawüste ab. Das Lithium-Karbonat wird gefördert, indem mineralhaltiges Grundwasser in riesige Becken gepumpt wird. Es sind allein hier in einem Jahr 7,7 Megatonnen. Zum Vergleich: Im Barleber See befinden sich 6,9 Megatonnen Wasser. Die Förderung der Lake aus dem Grundwasser führt dazu, dass der Grundwasserspiegel sinkt, Flussläufe und Feuchtgebiete austrocknen. Die ansässige indigene Bevölkerung leidet extrem unter dem Wassermangel. Das alles geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem der Anteil der Elektroautos am Fahrzeugbestand der Welt marginal ist. Wenn in 10 bis 11 Jahren weltweit 40 Mio. Elektroautos pro Jahr produziert werden sollten – was der renommierte Autoforscher Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch Gladbach und viele andere vermuten –, werden dafür zwischen einer und drei Millionen Tonnen an reinem Lithium gebraucht. Kein Mensch kann sich die Umweltkatastrophe ausmalen, die daraus folgt. Vergleicht man, bezogen auf die CO2-Bilanz, die Unterschiede zwischen herkömmlichen Autos und Elektrofahrzeugen, so ist der Erfolg eher mager: „In der Kompaktklasse hat das Elektroauto bei Nutzung des deutschen Strommixes mit 150 g CO2/km bei 150.000 km Laufleistung die beste CO2-Bilanz, knapp vor dem Diesel mit 186 g/km. Auch bei einer optimistisch angenommenen Kleinwagenlaufleistung von 150.000 km, liegt das Elektroauto beim CO2-Ausstoß mit 158 g/km nur sehr knapp vor dem Diesel (166 g/km). Auch Benzin (177 g/km) und Hybrid (178 g/m) sind nicht allzu weit weg (Quelle: ADAC).“

Kinder und Jugendliche haben das Recht, ungeduldig zu sein. Ich kann verstehen, dass ihnen die „Energiewende“ , die ja den Klimawandel aufhalten soll, nicht schnell genug geht. Wüssten sie, dass wir mit dem gleichzeitigen Atomkraft- und Kohleausstieg keine Versorgungssicherheit mehr haben werden und dass ein auch nur kurzzeitiger Totalausfall der Stromversorgung (Blackout) für uns alle nicht nur unbequem, sondern für die Wirtschaft verheerend und für viele Menschen lebensgefährlich ist, brächten sie die Geduld auf, die gute Lösungen benötigt. Wüssten sie, dass die Befriedigung unserer Sehnsucht nach E-Autos mit riesigen Umweltzerstörungen und sogar mit der Versklavung von Kindern erkauft wird, wären sie entsetzt. Schon in wenigen Jahren werden wir Magnesium-Ionen-Batterien haben, die umweltfreundlich zu produzieren sind und die die doppelte Speicherkapazität der Lithium-Akkus haben werden. Die Kinder würden uns zustimmen, wenn wir beschließen, dass wir die Entwicklungsländer nicht länger ausbeuten wollen. Bei der Entwicklung einer gefahrlosen emissionsfreien Kerntechnologie tut sich übrigens Einiges und der Ertrag von Pflanzen, die für die Energiegewinnung taugen, lässt sich mittels Biotechnologie verdoppeln. Um die Probleme unserer Welt lösen zu können, brauchen wir gut ausgebildete Jugendliche, die in der Lage sind, MINT-Fächer zu studieren. Da ist Schuleschwänzen kontraproduktiv. Wie wäre es, wenn es für die Jugendlichen Projekttage gäbe, in denen sie anhand zuvor eingeholter Daten mal unterschiedliche Energiewende-Szenarien durchrechneten? Sie würden künftig mehr Realismus zeigen. Herbert Grönemeyer sollte mit der Aussage „Sie berechnen nicht, was sie tun“ nicht Recht behalten! Würde man Kinder und Jugendliche ernst nehmen und mit ihnen Sacharbeit leisten, gingen sie gern zur Schule unter dem Motto: „school for future.“ (wenn‘s nun schon englisch sein muss). Gute Fremdsprachenkenntnisse sind übrigens wichtig, denn es ist zu befürchten, dass die einigermaßen attraktiven Arbeitsplätze nach einer vergeigten Energiewende im Ausland sein werden. Prof. Dr. Reinhard Szibor

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