Endlich auf großer Bühne

Foto: Obere Reihe von links: Mandy Rosenschon (Physiotherapeutin), Richard Weil, Rico Preißinger, Marius Bülter, Steffen Schäfer, Christian Beck, Philipp Harant, Christopher Handke, Mergim Berisha, Björn Rother, Kevin Waliczek (Spielanalyst) | Mittlere Reihe von links: Dr. Oliver Poranzke (Mannschaftsarzt), Heiko Horner (Mannschaftsleiter / Zeugwart), Tino Meyer (Physiotherapeut), Dr. Stefan Wiegand (Mannschaftsarzt), Dr. Jan Philipp Schüttrumpf (Mannschaftsarzt), Joel Abu Hanna, Tarek Chahed, Nico Hammann, Dennis Erdmann, Tobias Müller, Matthias Tischer (Torwarttrainer), Jens Härtel (Cheftrainer), Ronny Thielemann (Co-Trainer), Silvio Bankert (Co-Trainer), Dirk Keller (Reha- und Athletiktrainer) | Vordere Reihe von links: Manfred Osei Kwadwo, Michel Niemeyer, Felix Lohkemper, Philip Türpitz, Mario Seidel, Jasmin Fejzic, Alexander Brunst, Marcel Costly, Nils Butzen, Charles-Elie Laprevotte, Aleksandar Ignjovski. Foto: Peter Gercke

Die Fußballer des 1. FC Magdeburg starten am 5. August ins Abenteuer zweite Bundesliga. Für die Blau-Weißen, die wirtschaftlich vom letzten Tabellenplatz aus ins Rennen gehen, kann es nur ein Ziel geben: den Klassenerhalt. 

Noch genau 267 Stunden und 30 Minuten! Ein virtueller Countdown annoncierte bei Redaktionsschluss von Magdeburg Kompakt die exakte Wartezeit bis zum ersten Spiel in der neuen zweiten Bundesliga. In der Stadt brodelt es. So viel Spannung war noch nie. Denn: Mit dem Aufstieg ist den Blau-Weißen der größte Erfolg in der Fußballgeschichte der Landeshauptstadt seit der Wende gelungen. „Nun sind wir erstmals nach 28 Jahren auf der großen Fußballbühne Deutschlands präsent“, sagte Geschäftsführer Mario Kallnik dieser Zeitung in einem Interview.

Am 5. August (13.30 Uhr) ist es also so weit: Die Blau-Weißen empfangen zum Saisonauftakt den FC St. Pauli. Mit 23.000 Zuschauern platzt die MDCC-Arena – deren Kapazität sich in nächster Zeit wegen der Bauarbeiten an der Statik des Stadions reduzieren wird – aus allen Nähten. Ein Heimspiel, und dann ausgerechnet der FC St. Pauli als Gegner! Mehr kann sich das Herz eines Fans kaum wünschen. Und viele werden sagen: Mit dem Kult-Klub aus dem Hamburger Amüsierviertel, da war doch mal was? Genau, mit den Hanseaten hat man noch eine uralte Rechnung offen.

Gut elf Jahre sind seither ins Land gegangen und auch damals ging es um die zweite Liga. Der Hausherr hatte es in der letzten Partie der Saison selbst in der Hand, sich für die zweithöchste Spielklasse zu qualifizieren. Dazu musste ein Sieg her. Doch vor erstmals ausverkauftem Haus (25.300 Zuschauer) kam man nicht über ein 1:1 hinaus. „Obwohl wir drei Spieltage vor Schluss einen Vorsprung auf einen Nicht-Aufstiegsplatz von fünf Punkten besaßen, haben wir es nicht gepackt“, erinnert sich der damalige Trainer Dirk Heyne im Gespräch mit Magdeburg Kompakt. „Es war fürchterlich. Am letzten Spieltag wurden wir noch vom VfL Osnabrück abgefangen. Und das auch erst wenige Minuten vor dem Abpfiff.“

Diesmal stehen die Vorzeichen völlig anders. Von Aufstiegsdruck kann schon einmal gar keine Rede sein. Der Neuling, der sich die Drittliga-Meis-terschaft mit überragenden 85 Punkten vor dem SC Paderborn gesichert hatte und bereits vier Spieltage vor Ultimo als Aufsteiger feststand, betritt völlig neues Terrain. Wen man in den zurückliegenden Tagen aus der Chefetage und aus der Mannschaft auch fragte, die Antwort war einhellig wie selten: Es kann kein anderes Ziel als den Klassenerhalt geben.  Kallnik: „Unser erklärtes Ziel ist, so schnell wie möglich die nötigen Punkte dafür zu holen.“ Für den Erhalt der zweiten Liga, so ergänzt der neue Chef der Lizenzspielerabteilung, Ex-Profi Maik Franz, werden wohl mindestens 41 Zähler nötig sein.

Bei aller Demut vor der Größe der neuen Aufgabe, verstecken muss der FCM sich nicht. Es gehört wenig Prophetie dazu vorauszusagen, dass sich das Team von Trainer Jens Härtel in seiner grundsätzlichen Spielauffassung kaum von dem unterscheiden wird, mit dem es bereits in Liga drei so erfolgreich war. Stichworte: Geschlossenheit, enorme Laufarbeit, aggressive Arbeit gegen den Ball. Sicher wird man den Neuling in der einen oder anderen Partie auch defensiver eingestellt erleben als noch in der zurückliegenden Saison. Härtel: „Ich denke schon, dass wir mit unserer Art, Fußball zu spielen, in der Lage sein sollten, gegen viele Zweitligamannschaften zu punkten. Der Schlüssel wird in der kommenden Saison sein, dass wir Vertrauen in unsere Spielweise haben und uns nicht verbiegen. Dafür müssen möglichst schnell die Ergebnisse passen.“

„Wir haben zwar Respekt vor der Liga, aber Angst? Nein!“, betont Franz. „Natürlich ist die individuelle Qualität bei manchem gestanden Zweitligisten höher als bei uns, generell sind die Spiele noch einmal schneller als in der dritten Liga. Das müssen wir mit unseren fußballerischen Tugenden wie Wille, Einsatz und Laufbereitschaft wettmachen.“ Das FCM-Credo sollte laut Franz sein: „Wir müssen alles reinwerfen, was wir haben – und das in jedem Spiel. Es soll keinem Gegner Spaß machen, gegen uns anzutreten.“ In dieselbe Kerbe schlägt Trainer Jens Härtel: „Wir haben schon öfter gesehen, dass wir in Begegnungen gegen Erst- und Zweitligisten gar nicht so weit weg von denen sind. Wir müssen deshalb unsere Tugenden abrufen. Wir brauchen eine gute Physis und müssen die Zweikämpfe regelrecht suchen.“

Genau das passierte schon einmal am Wochenende bei der ersten großen Bewährungsprobe vor eigener Kulisse. Im sogenannten Interwetten-Sommercup setzte sich der FCM gegen höherklassige Konkurrenz (der italienische Erstligist FC Genua 93 und der Premier-League-Absteiger Swansea City) durch. Trotz aller Abstrichen, die bei derartigen Tests gelten: Der Gastgeber zeigte im direkten Vergleich, dass er mit seiner Spielweise gegen höherklassige, technisch beschlagene Gegner – zumal aus führenden Ligen Europas – nicht von vornherein auf verlorenem Fuß steht. Im Gegenteil. „Ich bin hochzufrieden“, so Härtel, „weil wir mit unserer Spielweise Swansea und Genua viel Mühe bereitet haben. Alle 22 eingesetzten Spieler haben dazu beigetragen, dass es eine Qual der Wahl wird, die Stammformation für die Liga zu formieren. Aber besser so als anders herum.“

Viel wird in der neuen Liga davon abhängen, wie der Verlust von Leistungsträgern wie Marius Sowislo, Tobias Schwede, Felix Schiller oder Jan Glinker kompensiert wird und sich die neun Zugänge ins Team integrieren. Ein absoluter „Knaller“, so viel dürfte feststehen, ist bei den Neuen nicht dabei. Der FCM hat sich vielmehr, wie in den vergangenen Jahren, davon leiten lassen,  junge und hungrige Akteure zu holen, die sich, wie Franz sagt, „unsere DNA zu eigen machen“. Bei Verpflichtungen wie Philip Türpitz, Marcel Costly oder Michel Niemeyer hat der Klub ja bewiesen, mit seinem Kurs nicht allzu falsch gelegen zu haben. „Alle Zugänge verfügen über Qualitäten“, so der Lizenzspieler-Boss, „die das Team besser machen können. Jetzt liegt es an ihnen, das auf dem Feld zu beweisen.“ Und noch etwas: Der FCM kann, so scheint es, jeden Ausfall eines Spielers eins zu eins ersetzen. Franz: „Alle sind flexibel, alle agieren auf einem ähnlichen Level.“

So vielversprechend die sportliche Seite klingen mag, wirtschaftlich geht der FCM, wie Kallnik es formuliert, „von Position 18 aus ins Rennen“. Obwohl belastbare Gesamtetatzahlen nicht vorliegen, dürfte der Klub mit seinen 17 Millionen Euro von ganz weit unten grüßen. Den größten Einnahmeposten machen in der neuen Liga die TV-Gelder aus. „Zum einen ist diese Einnahmesäule extrem gewachsen“ räumt Kallnik ein, „doch die unterschiedliche Aufteilung der Gelder anhand der Fünfjahreswertung bedeuten für uns im Vergleich zu allen anderen Zweitligamannschaften die geringsten Einnahmen in dieser Position. Das bedeutet, wir erhalten etwa acht Millionen Euro und etabliertere Vereine zum Beispiel 14 Millionen Euro.“ Wo sich der FCM wirtschaftlich bewegt, offenbart außerdem ein Blick auf den Marktwert der einzelnen Kader (siehe Tabelle). Auch da bildet der FCM das Schlusslicht. Selbst der der beiden Ostklubs Union Berlin und Dynamo Dresden ist nahezu doppelt so hoch.

Unter allen Experten gilt es als ausgemacht, dass die beiden Absteiger, die Bundesliga-Dinos 1. FC Köln und Hamburger SV, die Top-Favoriten für den Aufstieg sind. Aus Sicht von Franz besitzen Union Berlin, der FC Ingolstadt und der VfL Bochum dahinter gute Chancen auf den Relegationsplatz. Kölns und Hamburgs spielerische Klasse und die Wirtschaftskraft sind einfach erdrückend. Sie verfügen nicht nur über das meiste Geld (Köln kalkuliert allein mit einem Spieleretat von 24 Millionen Euro, der HSV Medienberichten zufolge sogar mit 30 Millionen), sondern ebenso über die meisten Stars. Mit Nationalspieler Jonas Hector und Keeper Timo Horn konnten die Kölner zur Überraschung vieler Experten zwei Top-Akteure halten. Gleiches gelang dem HSV mit Lewis Holtby, Aaron Hunt und den vom FC Bayern umworbenen Jan-Fiete Arp. Hinzu kommen bei beiden die Stadien, die Zuschauer und die Stimmungen, die sie zu Top-Attraktionen der Liga machen. Ihr Handikap: Sie können nicht aufsteigen, sie müssen. Rudi Bartlitz

Kompakt

TV-Übertragungen
Auf Veränderungen bei den TV-Übertragungen müssen sich Anhänger des FCM einstellen. Sämtliche Partien der zweiten Liga werden zwischen Freitag und Montag live im Bezahlsender Sky ausgestrahlt (Einzelspiele und Konferenz). Bei Sky Sport News HD (frei empfangbar) zeigt der Sender zudem am Freitagabend (22.30 Uhr) und am Sonntag (19.30 Uhr) eine Zusammenfassung. In der ARD-Sportschau sind am Sonnabend (ab 18.30 Uhr) Zusammenfassungen zu sehen. Der MDR, der in der Drittliga-Saison einen Großteil der Begegnungen direkt übertrug, besitzt für die zweite Liga keine Live-Rechte. Zusammenfassungen werden frühestens am Folgetag ausgestrahlt.
 
Der FCM-Kader
Zugänge: Aleksandar Ignjovski (SC Freiburg), Mergim Berisha (RB Salzburg, Leihe), Jasmin Fejzic (Eintracht Braunschweig), Marius Bülter (SV Rödinghausen), Tobias Müller (Hallescher FC), Rico Preißinger (VfR Aalen), Joel Abu Hanna (1. FC Kaiserslautern), Manfred Osei Kwadwo (1. FC Kaiserslautern), Philipp Harant (eigener Nachwuchs)

Abgänge: Lukas Cichos (unbekannt, war an FSV Zwickau ausgeliehen), Gerrit Müller (unbekannt), Andre Hainault (1. FC Kaiserslautern), Florian Pick (1. FC Kaiserslautern, war ausgeliehen), Jan Glinker (Wacker Nordhausen), Tobias Schwede (SC Paderborn), Julius Düker (SC Paderborn), Felix Schiller (VfL Osnabrück), Andreas Ludwig (unbekannt), Marius Sowislo (Karriereende)
 
Rekorde, Rekorde
• Dieter Schatzschneider ist der erfolgreichste Torschütze in der Geschichte der zweiten Liga. Für Hannover 96 und Fortuna Köln gelangen ihm insgesamt 153 Treffer.
• Horst Hrubesch traf in der Saison 1977/78 gleich 41-mal für Rot-Weiß Essen, das hat bis heute niemand anders in einer Zweitligasaison vollbracht.
• Den Zuschauerrekord in der zweiten Liga hält 1860 München. Am 32. Spieltag der Saison 1976/77 kamen 77.573 Besucher ins Münchner Olympiastadion, um beim Spitzenspiel gegen den VfB Stuttgart (0:0) dabei zu sein.
• Greuther Fürth hat die meisten Zweitliga-Spielzeiten auf dem Buckel. Die Kleeblätter gehen mittlerweile in ihre 30. Saison. Ihre 1.024 Zweitligaspiele sind ebenfalls eine Bestmarke, letzte Saison wurde Alemannia Aachen abgelöst (1.020 Partien).
• Zweitliga-Legende Willi Landgraf (u.a. Aachen, Schalke), als Nachwuchstrainer der Königsblauen regelmäßig Gast beim FCM-Pape-Turnier, hält mit 508 Einsätzen einen Rekord scheinbar für die Ewigkeit. Von den aktiven Spielern ist der Sandhäuser Markus Karl derjenige mit den meisten Einsätzen (262). Spitzenreiter bei den noch aktiven Trainern ist Uwe Neuhaus (Dynamo Dresden) mit 253 Spielen.

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