Zum 200. Geburtstag von Friedrich Ladegast

Wäre ich ein Orgelfachmann, schriebe ich einen fachkundigen Beitrag über die Orgellandschaft Sachsen-Anhalt. Diese ist reich und bunt und kann ohne weiteres mit Sachsen, Thüringen und Norddeutschland mithalten, wo es wohl die berühmtesten Orgeln überhaupt gibt – etwa die von Gottfried Silbermann, Tobias Heinrich Gottfried Trost, Arp-Schnitger, u. a. m. Da ich kein Orgelfachmann bin, schreibe ich sicher etwas laienhaft, aber doch mit Begeisterung, weil ich zumindest zu einer Orgel eine besondere Beziehung habe. Es ist die Ladegast-Orgel in der evangelischen Kirche zu Biederitz. Bevor ich aber darauf eingehe, sollte ich wohl erklären, was mich zu dem vollmundigen Vergleich mit den Orgel-Hochburgen Thüringen, Sachsen und Norddeutschland treibt. Werfen wir einen Blick auf besondere Orgeln unserer Heimat und fangen wir im Norden an:

Der Hamburger Orgelbauer Hans Scherer der Jüngere war zu Anfang des 17. Jahrhunderts der bedeutendste Orgelbauer Norddeutschlands. Seine Orgel in der St. Stephanskirche Tangermünde ist heute das einzige Werk Scherers, von dem sowohl das prachtvoll geschnitzte Gehäuse als auch etwa 50 % der Originalpfeifen erhalten sind. Dies ist der größte zusammenhängende Pfeifenbestand einer Orgel aus dieser Zeit überhaupt und daher von unschätzbarem Wert. Das fehlende Pfeifenwerk wurde originalgetreu rekonstruiert. Diese Orgel aus dem Jahre 1624, quasi im Originalzustand erhalten bzw. wiederhergestellt, ist ein einmaliges Dokument des Orgelbaus, das europäischen Rang besitzt, und damit ein ideales Instrument für die authentische Aufführung von Orgelmusik dieser Zeit. Auch die Orgel von Hans Scherer dem Älteren (1535-1611) aus dem Jahre 1580 in der Stendaler Marienkirche muss genannt werden. Das Instrument besticht schon allein durch seinen eindrucksvollen Renaissance-Prospekt. Da mehrere Orgelbaufirmen im 18. und 19. Jahrhundert ergänzend an der Orgel gearbeitet haben, mag sie etwas verändert sein, sie ist aber dennoch von höchstem Wert.

Ein vergleichbarer Stern am „Orgelhimmel“ Sachsen-Anhalts ist die von Zacharias Hildebrandt erbaute Barockorgel in Naumburgs Stadtkirche St. Wenzel. Hildebrandt zählt zu den bedeutendsten Meistern seines Faches im 18. Jahrhundert. Seine Instrumente, die in Sachsen und Sachsen-Anhalt verbreitet sind, erfahren höchste Anerkennung. Nicht von ungefähr konnte er sich über zwei Jahrzehnte lang freundschaftlicher Kontakte zu Johann Sebastian Bach erfreuen. „... und wer diese Orgel gesehen und gehöret, der ist niemals ohne Bewunderung davon hinweggegangen." urteilte der Komponist und Organist Johann Christoph Altnikol, der Schüler und auch Schwiegersohn Johann Sebastian Bachs war. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Das hohe Niveau unserer Orgellandschaft wird jedoch nicht nur durch solche bombastischen Instrumente geprägt, sondern es sind gerade auch die vielen Kleinode, die man bei uns in Kirchen von Dörfern und Kleinstädten findet. So sind z. B. die Johann-Georg-Hartmann-Orgel in der St. Petrikirche zu Stegelitz und die Andreas-Kahrling-Orgel in der St. Laurentiuskirche zu Loburg (beides Jerichower Land) Kostbarkeiten mitteldeutschen Orgelbaus des 18. Jahrhunderts. Wenngleich auch diese beiden Instrumente sowohl klanglich als auch optisch als besonders schön herausgestellt werden können, stehen sie doch nur stellvertretend für eine große Anzahl weiterer Meisterwerke, die hier nicht alle aufgezählt werden können, denn der Bestand an sehr alten Orgeln aus Renaissance und Frühbarock in unserer Heimat ist ungewöhnlich reich. Die Auswahl, die ich hier vornehme, spiegelt ohnehin keine Rangfolge der Wertigkeit wider, sondern sie ist durch subjektive Erfahrungen bedingt.

Verlassen wir die barocke Orgelwelt und tauchen in die Zeit der Romantik ein, geht es nicht weniger hochkarätig zu. Aber bevor ich zum eigentlichen Focus dieses Artikels, nämlich zu Friedrich Ladegast, komme, möchte ich noch erwähnen, dass sich die Faszination für die Orgelwelt keinesfalls auf die Instrumente der Vergangenheit gründet. Wir können uns gerade in Magdeburg, wie überall im Lande, über ganz atemberaubende Neuschöpfungen freuen. Auch hier kann die ganze Pracht beispielhaft schon mit dem Hinweis auf wenige Instrumente benannt werden. Beginnen wir mit der Hermann-Eule-Orgel aus dem Jahre 2005 in der Kathedrale St. Sebastian zu Magdeburg. Sie verkörpert eine gelungene Synthese zwischen mitteldeutsch-klassischer Orgelbautradition und mitteldeutsch-romantischer Bauweise. Geradezu bombas-tisch, aber dennoch von filigraner Schönheit ist die Hauptorgel auf der Westempore des Magdeburger Doms. Der für den Bau je einer neuen Haupt- und einer Remterorgel arbeitende Verein „Aktion neue Domorgeln Magdeburg e. V“ erteilte 2003 den Auftrag für die größte Orgel Sachsen-Anhalts an die Firma „Alexander Schuke Potsdam Orgelbau“. Am 18. Mai 2008 konnte sie geweiht werden. Seitdem kann die „Musikstadt Magdeburg“ mit einer weiteren Attraktion glänzen! Beim Stichwort „Magdeburger Domorgel“ fällt mir sofort Ernst Röver aus Hausneindorf (Bördekreis) ein. Er war (1906) der Erbauer der Vorgängerin der soeben gepriesenen Schuke-Orgel. Diese wurde 1945, so wie fast alle seine Großinstrumente, zerstört. Röver zählt zu den weitgehend unentdeckten Größen des romantischen Orgelbaus. Aber immerhin sind insgesamt 78 Werke erhalten geblieben und 57 davon stehen in Sachsen-Anhalt, mehrere in Magdeburg. Auf Wikipedia kann man unter „Ernst Röver“ alle Standorte finden. Mit dem Ortsnamen „Hausneindorf“ verbindet sich auch der Name der Orgelbaufamilie Reubke, welche die Gründer der später von Röver übernommenen Orgelbaufirma sind. Auch sie haben eine stattliche Anzahl hervorragender Instrumente hinterlassen. Wir, eine Gruppe aus der Biederitzer Kantorei, hatten im Dezember 2017 die Gelegenheit, eine Führung durch das vom Kultur- und Heimatverein Hausneindorf eingerichtete und betriebene Orgelbaumuseum zu erleben. Eine Nachahmung ist absolut zu empfehlen. Man muss aber wissen, dass sich die Türen nur zu besonderen Anlässen oder nach Anmeldung öffnen.

Als Krone des Orgelbaus in der Zeit der Romantik gelten sicher zu Recht die Werke des Orgelbaumeisters Friedrich Ladegast. Albert Schweitzer, der große Arzt, Philanthrop und auch Organist schrieb: „Der große französische Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll hat ihn [Ladegast] als den besten unter den zeitgenössischen Orgelbauern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschätzt.“ Diese Bewunderung für Ladegast ist auch von heutigen Organisten und Orgelbauern zu vernehmen. Das vielleicht eindrucksvollste Exemplar befindet sich im Dom zu Merseburg, wo Ladegast seine Orgel in den Prospekt der Vorgänger-Barockorgel gebaut hat. Der Name „Königin der Instrumente“ für Orgeln, den ich schon in allen erwähnten Beispielen hätte benutzen können, findet hier eine überzeugende Erklärung.

Bis zum Ende der 1880er Jahre verließen über 125 Orgelneubauten Ladegasts Werkstatt. Die 42 erhaltenen Instrumente sind über den gesamten Raum Deutschlands verbreitet und darüber hinaus in Wien, in Posen und in Tallin. Auch hier lässt sich wiederum auf Wikipedia unter dem Namen „Ladegast“ ein Standortverzeichnis der erhaltenen Orgeln finden. Die meisten Instrumente des Weißenfelser Meisters befinden sich in Sachsen-Anhalt. Im Jerichower Land haben wir zwei kleinere Exemplare in Dorfkirchen, eine in Grabow und eine in Biederitz. Es war ein Glücksfall, dass es dem Förderkreis Biederitzer Kantorei gelang, dieses wertvolle Instrument zu beschaffen. Es war zuvor aus der baufälligen Kirche in Plenschütz gerettet worden und hatte seinen vorübergehenden Platz im Güstrower Dom gleich neben dem berühmten "Schwebenden Engel" von Barlach gefunden. Natürlich erforderte unser Ziel größte Anstrengungen und Risikobereitschaft. Aber wir erhielten Unterstützung von privaten Sponsoren, von der evangelischen Kirche und vor allem von der Landesregierung und der Lotto-Toto-Gesellschaft der ÖSA u.a.m.. Als glücklichen Umstand darf man werten, dass eine damals noch junge Dresdner Orgelbaufirma die Restaurierung übernahm. Kristian Wegscheider ist hinsichtlich der Kompetenz für historische Orgeln in der Spitzengruppe deutscher Orgelbaumeister angesiedelt. Er hat sich der Aufgabe der Rückführung des Instruments in den Originalzustand mit großer Leidenschaft und Erfolg gewidmet. Biederitz gehört nun seit dem 1. Juni 1997 mit seiner vorbildlich restaurierten Orgel zu einem der bedeutenden Orte in der mitteldeutschen Orgellandschaft. Klar ist, dass wir mit einer so tollen Orgel auch ganz hervorragende Musiker nach Biederitz holen können und dass Biederitz somit auch Ausflugsziel für den Regionaltourismus ist. Großer Beliebtheit erfreut sich unsere eintrittsfreie Reihe 30 Minuten Orgelmusik, die mehrfach im Jahre jeweils mittwochs angeboten wird. Zu den Sternstunden der Biederitzer Musiksommers gehört die jährliche Biederitzer Tastennacht. Hier gelingt es uns regelmäßig, Organisten und Pianisten von internationalem Ruf zu verpflichten. Die Biederitzer Tastennacht hat stets zwei oder mehr Künstler zu Gast und bietet ein zweiteiliges Konzert, wobei die Orgel im Mittelpunkt steht. Auch in diesem Jahr freuen wir uns auf hervorragende Künstler (siehe Infokasten). Das Konzert findet am Freitag dem 31. August 2018 statt. Das ist nur ein Tag nach Friedrich Ladegasts 200. Geburtstag. In der Pause gibt es Kaffee, selbstgebackenen Kuchen und als besondere Attraktion eine professionelle Geburtstagstorte. Letztere wird uns das Kaffeehaus Köhler aus Magdeburg spenden. Unsere Orgel gehört zu den besten Orgeln Deutschlands und die Tortenspende kommt aus einem Kaffeehaus, das von der Zeitschrift „Feinschmecker“ als eines der Besten in Deutschland ausgezeichnet wurde. Wenn das nicht passt! Seien Sie, liebe Leserin, lieber Leser, herzlich eingeladen! Prof. Reinhard Szibor, Förderkreises Biederitzer Kantorei


Biederitzer Tastennacht zum 200. Geburtstag des Orgelbaumeisters Friedrich Ladegast
Freitag, 31. August 2018 um 19.30 Uhr in der evangelischen Kirche Biederitz, Breite Straße
Es musizieren:
Viktoria Malkowski (Violine)
Hagen Schwarzrock (Klavier)
Daniel Beilschmidt (Orgel)
Silvina Vieweg (Sopran)

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