Beauty, Business und Beschwernis

Fördert ein Sexualhormon Gewichtsprobleme bei Frauen?

Eine australische Ernährungsberaterin vergleicht das Leben von Frauen mit dem eines „Hamsters im Laufrad“ und erklärt, dass Stress die Bildung eines Sexualhormons blockiert. Das soll Dickwerden auslösen. Kann das wirklich stimmen?
Weltweit nimmt seit Jahrzehnten der Anteil übergewichtiger Menschen zu. Als Ursachen werden dafür ein Überangebot an hochkalorischen Lebensmitteln und ein verbreiteter Bewegungsmangel verantwortlich gemacht. In ihrem neuen Buch beschreibt Libby Weaver, Biochemikerin und Autorin von Lifestyle-Büchern, dass es der Dauerstress ist, der den Frauen, die Gewichtsprobleme beschert. Durch den Anspruch der Frauen allzeit perfekt in der Arbeit, in der Familie und in ihrem öffentlichen Erscheinungsbild zu sein, unterwerfen sie sich einem selbstgemachten Dauerstress und werden dadurch zu einem „Hamster im Laufrad“ (Buchtitel: „Das Rushing Woman Syndrom“, Trias-Verlag). Nach Frau Weaver verändert Dauerstress den Hormonhaushalt der Frauen, wodurch deren Verdauung und Psyche beeinträchtigt werden, und dadurch das Dickwerden begünstigen.
Warum soll nun aber Stress dick machen, wenn er andererseits Zucker (Glucose) aus der Leber bzw. der Muskulatur und Fettsäuren aus dem Fettgewebe freisetzt und so den Körper an den durch Stress erhöhten Energiebedarf anpasst? Die Autorin sagt dazu, dass Stress die Bildung des Sexualhormons Progesteron in der Nebennierenrinde unterdrückt, wodurch dessen positive Wirkungen auf den weiblichen Körper verloren gehen. Mit ihren Worten beschreibt sie diese folgendermaßen: „Progesteron ist das Hormon, von dem wir alle immer gerne einen vollen Tank hätten. In unserem Körper wirkt es wie ein Anti-Depressivum, es hilft gegen Ängste, es entschlackt und es erlaubt uns, das eingelagerte Körperfett aus unseren Energiereserven zu verbrennen“. Sie klärt dann darüber auf, dass durch den Mangel an Progesteron ein Stresshormon (Cortisol) vermehrt durch die Nebennierenrinde gebildet wird und dieses großen Einfluss auf den Stoffwechsel erlangt. Der Kern ihrer Botschaft ist somit: Cortisol drosselt den Stoffwechsel des Körpers, den Energieumsatz und macht dadurch den Weg für die Fettspeicherung frei. Diese problematische Aktivität des Cortisols soll zusätzlich durch Adrenalin (auch ein Stresshormon) unterstützt werden. Auf diesen Überlegungen aufbauend prophezeit sie, dass bei Frauen in der „Hamster im Laufrad-Situation“ alle Bemühungen zur Erhaltung des Gewichtes, wie weniger essen und Sporttreiben, ausgehebelt sind.
Diese Sicht auf den Zusammenhang zwischen Dauerstress und dem Dickwerden nimmt es allerdings mit den wissenschaftlichen Fakten nicht so genau. So ist bei Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter der Eierstock, und zwar der sogenannte Gelbkörper (dieser entwickelt sich aus dem Follikel, das die Eizelle beim Eisprung ausgestoßen hat), der Hauptbildungsort für das Progesteron und nicht die Nebennierenrinde. Erst nach der Menopause gewinnt diese an Bedeutung für den Progesteronhaushalt. Als Schwangerschaftshormon bereitet Progesteron in der zweiten Zyklushälfte die Gebärmutterschleimhaut für die Einnistung der befruchteten Eizelle vor, und „trägt“ danach die Schwangerschaft bis zur Geburt des im Mutterleib wachsenden Kindes. Dazu muss es auch das mütterliche Immunsystem unterdrücken, damit dieses die wachsende Leibesfrucht nicht abstößt. Wenn nun aber, wie die Autorin schreibt, Dauerstress die Bildung von Progesteron zum Erliegen bringt, sollten gestresste Frauen eigentlich nicht schwanger werden. Auch lernt ein Medizinstudent bereits früh, dass Cortisol aus Progesteron und dessen Vorläufer-Molekül Pregnenolon gebildet wird. Diese Tatsache macht es unverständlich, dass die von Frau Weaver behauptete Blockade der Progesteron-Bildung bei der gestressten Frau zu einer gesteigerten Cortisol-Bildung durch die Nebennierenrinde führen soll. Außerdem ist auch ihre Behauptung falsch, dass Cortisol die Fettspeicherung begünstigt. Im Gegenteil, als Stress- und Notfallhormon setzt Cortisol aus dem Fettgewebe Fettsäuren für die Fettverbrennung frei. Außerdem sorgt es ebenso dafür, dass dem Körper bei Dauerstress oder Hunger immer ausreichend Glucose zur Verfügung steht. Ohne Cortisol würde ein Marathonläufer kein Fett in den Muskeln verbrennen können, als Folge des Glucosemangels im Gehirn die Orientierungsfähigkeit verlieren und somit nie das Ziel erreichen. Ähnlich würde es einem Hungerstreikenden ergehen, der wegen der Abhängigkeit des Gehirns von der Glucose nach wenigen Tagen das Streikziel „vergisst“. Man weiß auch schon lange, dass bei Menschen mit einer defekten Nebennierenrinde Dauerstress schnell zum Tod führt. Cortisol macht nämlich die Neubildung von Glucose aus Körpereiweiß möglich. Diese Tatsachen zusammengenommen widersprechen ganz klar der behaupteten Drosselung des Stoffwechsels durch das Cortisol. Zum Adrenalin muss ergänzt werden, dass dieses „Fight-or-flight-Hormon“ (Kampf-oder-Flucht-Hormon) nur bei Extremstress ausgeschüttet wird, z. B., wenn ein Spaziergänger plötzlich auf einen Löwen trifft oder wenn ein Bungee-Jumping-Fan den besonderen Kick sucht. Wegen seiner äußerst schnellen Wirkung auf den Stoffwechsel, hat Adrenalin eine „Peitschenwirkung“ auf die Energiebereitstellung des Körpers.
Unbestritten ist, dass Dauerstress eine wesentliche Ursache für das Dickwerden ist. Frauen und Männer bevorzugen unter Stress kalorienreiche und süße Lebensmittel. Andererseits irrt die Autorin mit der Empfehlung, die körpereigene Progesteron-Bildung mit Zwerchfellatmung, Yoga und Tai Chi zu stimulieren. Die Bildung von Progesteron wird nämlich streng vom Gehirn kontrolliert, was übrigens auch auf das Cortisol zutrifft. Auch ist es schwer zu verstehen, warum die von ihr erwähnten „wunderbaren Kräuter“ die Nebennieren stärken sollen und somit die Hormone ins Gleichgewicht bringen. Schlussendlich übersieht die Autorin, dass durch die Einnahme der Antibabypille die Wirkungen des Progesterons im gestressten Frauenkörper nicht gänzlich verloren gehen können.
Die Zunahme der Fettsucht lässt sich offenbar nicht mit einem Progesteron-Mangel erklären. Dafür spricht auch die Tatsache, dass in Deutschland 62 Prozent der Männer, aber nur rund 43 Prozent der Frauen zu dick sind (Stand 2013). Woran liegt es also, dass mehr Menschen zu dick werden? Auf jeden Fall haben daran auch Gene, und damit der ererbte Stoffwechsel, einen Anteil. Inzwischen wurde eine große Zahl von Genen identifiziert, mit denen gute und schlechte „Futterverwerter“ erklärt werden können. Letztere essen, was sie wollen und werden trotzdem nicht dick. Nach aktuellem Stand der Forschung entsteht Fettleibigkeit nicht im Körper, sondern im Kopf. Viele Jahre lang glaubte man, dass ein „Hunger-Regelkreis“ die Nahrungsaufnahme kontrolliert. Wenn der Magen leer ist, sorgen Botenstoffe dafür, dass ein Hungergefühl entsteht und der Magen daraufhin wieder gefüllt wird. Doch wie oft setzen wir uns über diese Kontrolle hinweg? Obwohl wir eigentlich satt sind, lassen wir uns an einem Buffet immer wieder von der Neugier auf den Geschmack der einen oder anderen dargebotenen Köstlichkeit verführen. Dadurch verliert der „Hunger-Regelkreis“ die Kontrolle über die Kalorienzufuhr. Dieser „Appetit-Befriedigung“ sind wir ziemlich hilflos ausgeliefert, denn sie wird von den Lust- und Frust-Zentren im Gehirn gesteuert. Damit wird das Dickwerden von den gleichen Hirnregionen befeuert, die beim Orgasmus aktiv sind, beim Heroin-Kick oder im Rausch der Verliebtheit (Der Spiegel 7/2013). In nüchterner Sprache liest sich das so: Der „Hunger-Regelkreis“ ist über das in bestimmten Gehirnbereichen (Hypothalamus, Hirnstamm) lokalisierte Melanokortin-System mit dem Serotonin-, Belohnungs- und Stress-System verbunden. Serotonin ist ein Botenstoff, der uns glücklich oder depressiv machen kann. Bei Hochstimmung zügelt die Serotoninausschüttung über das Melanokortin-System den Appetit. Bei Niedergeschlagenheit wird wenig Serotonin ausgeschüttet, wodurch der Appetit ungebremmst bleibt. Die Wissenschaft geht nun davon aus, dass Stress auch über das Melanokortin-System den „Hunger-Regelkreis“ beeinflusst. Auch gibt es jetzt Hinweise dafür, dass bei Adipösen und Nicht-Adipösen das Belohnungszentrum anders reagiert. So zeigen MRT-Untersuchungen an Adipösen dort Veränderungen, wo Veränderungen auch bei Suchtkranken auftreten. Für den im Belohnungszentrum wirkenden Glücksbotenstoff (Dopamin) gibt es nämlich nicht so viele Andockstellen. Deshalb wird vermutet, dass Handlungen, wie Essen, häufiger wiederholt werden müssen, um dann über eine erhöhte Dopaminkonzentration ein Glücksgefühl auszulösen. Auch gleichen sich Adipöse und Suchtkranke darin, dass bei ihnen die Fähigkeit zur langfristigen und flexiblen Planung vermindert ist. Dieser Verhaltensunterschied zwischen Adipösen und Nicht-Adipösen wurde interessanterweise beim Glücksspielen aufgedeckt. Adipöse halten nämlich in der Regel trotz wiederholter, frustrierender Spielresultate an ihrer einmal eingeschlagenen Spielstrategie fest, wogegen Nicht-Adipöse diese nach ersten Frusterlebnissen ändern.
Was können wir nun tun, dass uns die Pfunde nicht zufallen? Diäten und Pillen gegen den Appetit haben keine nachhaltige Wirkung. Viele Appetitszügler (Sibutramin) besitzen schwere Nebenwirkungen und wurden deshalb schnell aus dem Handel entfernt. Vielversprechender ist dagegen eine Strategie zu erlernen, die Alltagsstress senkt oder, wenn möglich, nach Art eines Gourmets zu essen. Aber es ist sehr tröstlich zu erfahren, dass nach einer fundierten Untersuchung (mit mehr als 100.000 Menschen) durch die Kopenhagener Universitätsklinik, die Sterblichkeit mit etwas Übergewicht geringer ist. Prof. Dr. Peter Schönfeld

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