Meinung & Debatte: Von einer, die Partei kann

Der 31. CDU-Parteitag ist gelaufen. Anders als bei Bundesparteitagen der Partei normalerweise üblich, waren die angesetzten Wahlen diesmal tatsächlich ergebnisoffen. Obwohl über lange Jahre und völlig zurecht über die mangelnde Lebendigkeit der innerparteilichen Demokratie geklagt worden ist, zeigt sich, dass diese auch nicht zwingend für die Befriedung der Situation sorgt. Im Nachgang der Wahl Annegret Kramp-Karrenbauers rumort es in jenen Teilen der Basis der CDU, die mit dem Kurs des letzten Jahrzehnts hadern. Wenn die machtferne „Werte-Union“ von einer Parteineugründung raunt, wird das der Unionsführung kaum den Schlaf rauben. Wenn aber ein Bosbach äußert, dass das Ergebnis zeige, dass Wirtschaftsliberale und Wertkonservative nur noch gebraucht würden, um nach außen hin ein breites politisches Spektrum abbilden zu können, aber einen prägenden politischen Einfluss weder inhaltlich noch personell bekommen sollen, gibt es schon ein Problem. Zwar werden die Parteiprogressiven augenrollend sagen, es handle sich hier nur um ein weiteres rückwärtsgewandtes Lamento aus der Riege aus der Zeit gefallener Konservativer, die in der Ära Merkel auf der Strecke geblieben sind. Es wäre aber gefährlich, den Unmut achselzuckend hinzunehmen. Angela Merkels unbeirrbarer Kurs ins Herz der linksliberalen Lebenswelt hat die Parteienlandschaft nämlich bereits umgepflügt und das Wählerpotenzial der CDU strukturell verkleinert – auch wenn das Mantra, gegen die Union könne nicht regiert werden, wahr ist. In der Vergangenheit konnte es vorkommen, dass der Christdemokratie mit 40% die Oppositionsrolle zufiel, während sie heute mit 30% ein Abonnement auf die Regierungsbeteiligung, oft -führung, hat. Ob das aber ein krisen- und zukunftsfestes Arrangement ist?

Ganz so düster, wie einige konservativere Parteimitglieder die Situation auffassen, ist es aber vielleicht gar nicht. Denn es könnte sich zeigen, dass Annegret Kramp-Karrenbauer nicht allein die Verweserin von Angela Merkels Erbe ist, gar eine „Mini-Merkel“, als die sie geschmäht wurde. Das sollte allerdings nicht allein an ihrer Haltung zur Homo-Ehe festgemacht werden, auf die in diesem Zusammenhang gern verwiesen wird. Die ist zwar in der Tat erzkonservativ, tatsächlich aber eher nostalgische Dekoration im Kandidatenschaufenster, die den ein oder anderen Parteidinosaurier locken soll. In der Realität aber ist eine Rückabwicklung völlig illusorisch und selbst im rechteren politischen Spektrum mehr Folklore denn wirklich mehrheitsfähiges Kernanliegen.

Es gibt andere Indizien: So unterscheiden sich die politischen Werdegänge der ehemaligen und der neuen Vorsitzenden ganz erheblich. Angela Merkel ist unter den besonderen Umständen im Nachgang der friedlichen Revolution quasi direkt in die nationale Politik eingestiegen und hat nach wenigen Wochen schon Spitzenämter besetzt. Die üblichen Stationen in den Niederungen der Partei, der Kommunal- und Landespolitik entfielen. Das mag der Grund sein, weswegen die Noch-Kanzlerin auf der großen Bühne reüssiert, für die Befindlichkeiten der Partei und die Sorgen der nachgeordneten Politik in der Provinz aber wenig Einfühlungsvermögen aufgebracht hat. Ganz anders hingegen bei Annegret Kramp-Karrenbauer: Sie hat Jahrzehnte in der Jugendorganisation, im Orts-, Kreis- und Landesverband, im Stadtrat und Landtag zugebracht. Vielen gilt ein solcher Werdegang heute mindestens als piefig oder sogar als anstößig, er könnte sich bei der Führung einer aufgewühlten Partei und künftig wohl auch eines zerrissenen Landes als Vorteil erweisen.

Auch in der Personalpolitik hat Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer politischen Vergangenheit eine auf dem 31. Bundesparteitag allgegenwärtige Politphrase mit Leben gefüllt: Ihre Landesregierung ist „mit beiden Flügeln geflogen“, wie es im Politjargon heißt.  Sichtbarster, aber nicht einziger Ausdruck war die Präsenz ihres kernigen Innenminis-ters Klaus Bouillon. Dieser war mehr als nur eine Symbolfigur, um Konservative bei der Stange zu halten. Das Mikromanagement der Migrationskrise, dem Zankapfel schlechthin der letzten Jahre, wurde im kleinen Saarland so beispielsweise wesentlich erfolgreicher und sicherlich mehr im Sinne traditioneller Christdemokraten betrieben, als das im Bund der Fall war. Angela Merkel hingegen hat über die Jahre sämtliche Konservativen ihrer Partei von den Machtpositionen verdrängt. Und an „Beinfreiheit“ mangelte es ihnen auch schon, als sie noch da waren.
Annegret Kramp-Karrenbauer kann also Partei, verfügt über ein Gespür für die geographische Peripherie und vermag es mehr als Angela Merkel, abweichenden Positionen Raum zu geben. Das können gute Anlagen sein, um die Partei wieder mit sich selbst zu versöhnen. Diese Qualitäten erinnern ein wenig an einen anderen Christdemokraten, nicht nur, weil der auch katholisch war und eine rheinfränkische Sprachfärbung hatte: Helmut Kohl. Der Vergleich erscheint zunächst einmal absurd, gilt doch Helmut Kohl heute als ehernes Bollwerk des Konservatismus, in den Augen seiner Feinde auch als Mahnmal deutscher Spießigkeit. Aber weder die Verklärung noch die Verächtlichmachung werden dem Altkanzler gerecht. Der war nämlich bisweilen sogar ein linksliberaler Revoluzzer, gemessen an den Maßstäben seiner Partei. Insbesondere in jungen Jahren hatte er in der Union jene Rolle inne, die heute Daniel Günther, der bei Rechtskonservativen verhasste schleswig-holsteinische Ministerpräsident, gibt. Aber auch später war Kohl kein Nationalkonservativer, wie sein intensiver Einsatz für das europäische Projekt beweist. Konservative Titanen wie Rainer Barzel und Franz Josef Strauß zählten zu seinen erbitterten Gegnern. Dafür war seine Vernetzung in der Partei legendär, seine Kommunikation bis auf Ortsverbandsebene glich einer perpetuierten „Zuhör-Tour“. Kohl vermochte es auch, die ganze Bandbreite christdemokratischen Denkens, von Alfred Dregger bis Rita Süssmuth, einzubinden. Ein Unterfangen, das der nächsten CDU-geführten Bundesregierung eindeutig misslungen ist. Und auch damals gab es eine Asylkrise, die das Parteiensystem zu sprengen drohte. Mit dem Asylkompromiss gelang es Kanzler Kohl damals, die Situation nachhaltig zu klären und den Aufstieg einer Partei rechts von der Union zu verhindern, respektive abzuwürgen. Auch das ist ein Unterschied zur Bundesregierung der Gegenwart, aber eine Parallele zum Kabinett Kramp-Karrenbauer, dort freilich im saarländischen Maßstab. Seinen Pragmatismus, seine inhaltliche Flexibilität und sein progressives Europaverständnis verbarg Helmut Kohl aber hinter Strickjacke, Saumagen und einer ostentativ kleinbürgerlichen Attitüde. Ähnliches könnte Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihren betont konservativen gesellschaftspolitischen Positionen und dem von ihr gepflegten Bild als Familienmensch gelingen.  

Diese Parallelen bedeuten aber noch lange nicht, dass sich der Erfolg zwingend einstellen muss. Die Union besetzt heute das Spektrum rechts der Mitte nicht mehr allein. Auch das ist, wie die Ereignisse des zurückliegenden CDU-Parteitags, ein Widerhall der epochalen Bundestagswahl 2017, die ihrerseits ein Echo des Jahres 2015, der Euro-Rettung, des vorzeitigen Atomausstiegs und anderer Kehrtwenden  war. Ob sich der Geist wieder in die Flasche zurückdrängen lässt, ist zweifelhaft. Dafür dürfte es wohl zu spät sein, zumal sich die Unzufriedenheit mittlerweile aus einem ganzen Themenbündel speist, wie sich in nahezu allen westlichen Demokratien inzwischen zeigt. Auch ein Ereignis wie die deutsche Einheit ist für eine mögliche Kanzlerschaft Annegret Kramp-Karrenbauers nicht zu erwarten, sondern eher Konjunktureinbruch und Modernisierungsverwerfungen. Trotzdem könnte die Saarländerin für die Union eine integrativere Figur als Angela Merkel werden. Es ist noch zu früh für die Merz-Anhänger und Merkelianer innerhalb und außerhalb der CDU, nunmehr eine unveränderte politische Fortsetzung der Politik der letzten Jahre als Unvermeidlichkeit anzunehmen. Markus Karp

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