Die Vielfachverlierer

Wir wissen, dass Statistiken keine Aussagekraft über einzelne Schicksale machen können. Aber auf manche Zahlen, die uns als Klimaindex eines gesellschaftlichen Wandels oder eben nicht hingehalten werden, schaut man doch mit Interesse. So beispielsweise die kürzlich veröffentlichten Zahlen über Einkommen und Arbeitszeiten im Ost-West-Vergleich. Das Ergebnis ist seit Jahrzehnten dasselbe: Im Schnitt arbeitet man im Osten pro Jahr 67 Stunden mehr als in den westlichen Bundesländern (West: 1.279 Arbeitsstunden; Ost: 1.346). Dafür gibt es fast „naturgesetzlich“ am Ende auch weniger Lohn, nämlich rund 5.000 Euro weniger als im Westdurchschnitt. Nun wollen wir mal nicht ungerecht sein und gelten lassen, dass im Wes-ten viel mehr Firmenzentralen mit gutdotierten Managern stehen. Das hat sicher großen Einfluss auf die statistischen Ergebnisse. Und dennoch bleibt da ein riesiges Fragezeichen. Wenn überdurchschnittliche Managergehälter die Statistik der Einkommen maßgeblich beeinflussen sollten, warum schlagen sich die ganz oft angeführten unzähligen Arbeitsstunden von Vorständen, Geschäftsführern und mittleren Führungseliten nicht in der Statistik nieder? Auch die Anzahl an Berufspolitikern, die bekanntlich nie Freizeit haben und Dauerarbeiter sind, muss aufgrund der Bevölkerungsverteilung im Westen wesentlich höher sein als im Osten. Auch deren unermüdlicher Einsatz für Bürgerinnen und Bürger zahlt sich statistisch nicht aus. Es ist schon blöd, permanent auf dieser Ost-West-Schiene herumzufahren und die Unterschiede herauszustellen. Doch leider erlebt man im deutschen Fernsehen, gefühlt häufiger im öffentlich-rechtlichen, wie die Spezies „Ostdeutcher“ in ihrem Anderssein einer liberal-intellektuellen Tiefenanalyse unterzogen wird. Gleichsam hält man der eigentümlichen „Ost-Ethnie“ diktatorischer DDR-Prägung auch noch manches demokratische Defizit vor, welches unter pädagogischer Anleitung sozialwissenschaftlicher Hochschuleliten überwunden werden könnte. Zu guter Letzt verkündet man dem Volk fortlaufend milliardenschwere Steuerüberschüsse in der Staatskasse. Im ersten Halbjahr 2018 waren es fast 50 Milliarden Euro. Das wiederum liegt vorrangig an den exportstarken deutschen Westländern. Wenig Kohle, viel Arbeit und noch weniger Anteil am fruchtbaren Leib des deutschen Gemeinwesens – so kommen statistische Auswertungen im Osten an. Dass sich deshalb manche im Spiegel als Vielfachverlierer sehen wollen, sollte man gar nicht erst diskutieren. Über künftige statistische Rentenunterschiede bei weniger Geld für mehr Arbeit besser gar nicht nachdenken. Sicher wird eine Veränderung durch mehr politische Arbeitsstunden gelingen. Ob’s der Statistik nutzt? Thomas Wischnewski

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