Die verblassten Spuren

Der teilrekonstruierte Ostflügel des Zerbster Schlosses...

Auch wenn in der ersten Februarausgabe 2018 dieser Zeitung gefragt wurde: „Wieviel Katharina gehört zu Zerbst?“, so hat dies leider nicht nur in Zerbst zu einer wahrheitsgemäßen Betrachtung dieser mehr als verdienstvollen Frau der Weltgeschichte geführt! Nur Wahrheit schafft Glaubwürdigkeit und deshalb gibt es allen Grund, anlässlich ihres 290. Geburtstages und anhaltender unberechtigter Sanktionen gegenüber Russland Katharina II. zum Thema hier zu machen! Kein anderer als ihr bester Biograph und Autor großer Biografien der europäischen Geschichte Vincent Cronin hat als Absolvent der Eliteuniversitäten in Harvard und Oxford sich so umfassend und exakt zu ihr geäußert. Er korrigierte ein über lange Zeit verfälschtes Geschichtsbild, das sich hartnäckig zu halten scheint. Lassen wir Cronin deshalb hier erneut zu Wort kommen.

Am 2. Mai 1729, vor 290 Jahren, wurde morgens um halb drei Uhr Prinzessin Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst-Dornburg in Stettin geboren. Die Eltern waren als Mutter Fürstin Johanna Elisabeth geborene von Holstein-Gottorp und ihr Vater der General und Fürst Christian August. Die Eltern hatten sich 1727 vermählt und zeitgleich wurde der Vater vom preußischen König Friedrich I. (1688 - 1740) zum Stadtkommandanten von Stettin ernannt, welches erst 1720 von Schweden an Preußen abgetreten worden war. Christian August war nun des Königs Stellvertreter. Ihn lernte Sophie mit 4 Jahren kennen, als er 1733 Stettin besuchte. Unerschrocken soll Sophie auf ihn zugegangen sein, um seinen Rocksaum zu küssen, den sie aber nicht erreichte, da er zu kurz war. Dies veranlasste den König wohl zu der Bemerkung: „Die Kleine ist sehr keck.“ Danach soll er sich öfter nach Sophie, die ihre ganze Kindheit in Stettin verbrachte, erkundigt haben.

Als sie 18 Monate alt war, wurde ihr Bruder Wilhelm geboren und im Alter von 5 Jahren ihr zweiter Bruder Friedrich August. Sophie erhielt eine französische Gouvernante, Elisabeth Cardel, an die Seite gestellt. Von ihr lernte sie Französisch und Deutsch sprechen. Die Fabeln von Lafontaine sollen sie besonders begeistert haben. Daher rührte vermutlich ihre Vorliebe, Tiere nachzuahmen. Schnell lernte sie schreiben und zeichnen, doch zeigte sie wenig musikalische Begabung. Ihr Vater als frommer Lutheraner sorgte über einen Feldgeistlichen für Unterricht in Geschichte, Geografie und Bibelkunde. Er war sicher sehr streng zu ihr. Die Eltern bewohnten anfangs ein beschiedenes Mietshaus in der großen Domstraße, ehe 1727 sie mit der Ernennung des Vaters in das herzogliche Schloss am Hauptplatz zogen. Tatsächlich gab es eine längere Zeit eine Tafel am Schloss, die an die Geburt von Katharina II. Alexejewna erinnerte. Sie soll aber aus politischen Gründen entfernt worden sein. Im obersten Stockwerk des Schlosses befanden sich die Fenster des Kinderzimmers. Mit 7 Jahren erkrankte Sophie an einer Rückgratverkrümmung und litt daran zweieinhalb Jahre. Doch schnell erholte sie sich davon und nutzte später die Besuche im ländlichen Schloss Dornburg, um sich dort im Treppenhaus zu trimmen. Das Schloss Dornburg wurde am 28. Juli 1750 Opfer eines Brandes. Die Mutter von Sophie beauftragte den aus Zerbst stammenden nassau-saarbrückischen Baudirektor, Architekten und Ingenieur Friedrich Joachim Michael Stengel (1694 - 1787) mit einem repräsentativen Neubau, der aus Geldmangel allerdings nie vollendet wurde. 1751 und damit viele Jahre nach dem Weggang von Sophie nach St. Petersburg im Jahre 1744 war Baubeginn des dreigeschossigen Putzbaus von 19 Achsen in Dornburg. Nach dem Einstellen der Bauarbeiten 1760 begann der zunehmende Zerfall und es wurde 1813 von französischen Truppen als Lazarett genutzt.

...und der Brief der Zarin Elisabeth von Russland vom 27. April 1745 an Fürst Christian August von Anhalt-Zerbst.

Auch in Zerbst war Sophie in ihrer Jugend nur kurze Zeit. Nach dem Tode ihres Onkels Fürst Johann August von Anhalt-Zerbst im November 1742, musste ihr Vater nach Ausscheiden aus dem preußischen Heer als Feldmarschall das kleine Fürstentum mit nur 20.000 Einwohnern übernehmen. Daher sah Sophie Schloss Dornburg nie wieder.

Als sie mit ihrer Familie ins Schloss Zerbst zog, war dies baulich noch unvollendet. Zu diesem Zeitpunkt stand der Turm als Ergänzung des Mittelbaus kurz vor der Vollendung und im Jahr ihres Umzugs begann man erst mit dem Ostflügel. Erst 1749 war das Schloss komplett und 1793 erlosch das Adelshaus Anhalt-Zerbst für immer. In Zerbst schmück man sich nach wie vor gern mit Katharina II., obwohl sie wirklich nicht einmal anderthalb Jahre wohnte. Historisch korrekt ist, dass sie dem Adelshaus Anhalt-Zerbst in ihrer Nebenlinie Dornburg angehörte – mehr nicht. Heute von einem Zerbster Schloss zu sprechen, von dem nur noch eine rekonstruierte Ruine des Ostflügels nach der Zerstörung am 16. April 1945 zu sehen ist, mag manchmal übertrieben wirken. Ob der komplette Aufbau auch des Schlosses Zerbst noch realistisch ist, bleibt vorerst offen. Zerbst besitzt längst wie Blankenburg im Ostharz keinen Residenzstatus mehr. Hilfreich wäre für Besucher sicher eine wirksame Darstellung ehemaliger Grundmauern, um die Ausdehnung und Größe der einstigen dreiflügeligen Barockschlossanlage anzudeuten.

Zurück zur Historie. Mut, Wahrheitsliebe und Gehorsam waren Tugenden, die Sophie vermittelt wurden. So soll sie vorurteilsfrei an alles herangegangen sein. Stellte vieles in Frage, auch um sich selbst darüber eine eigene Meinung zu bilden. Zu gern wollte sie wissen, wie das Universum vor der Schöpfung aussah. Bis zu ihrem Hochzeitstag war sie über die Geschlechter nicht aufgeklärt. Vom Temperament sanguinisch veranlagt, ertrug sie manches tapfer, auch ihre wahrscheinlich auf Rachitis zurückführende Rückgratverkrümmung. Während ihr Vater mehr ein ruhiger sparsamer Mann war, liebte ihre Mutter Geselligkeit und suchte in Reisen mit Sophie nach Berlin und Braunschweig sowie zu Tanten Zerstreuung. Zerbst war dabei nie ein Sophiescher Reisewunsch, sondern nur das Schloss Dornburg.

Die Nachricht über den Tod des preußischen Königs 1740 empfing Sophies Vater in Stettin mit dem Gefühl eines tiefen persönlichen Verlustes. Sophie erkannte bereits als elfjährige Prinzessin, dass es nicht genügte, die Pflicht zu tun und tüchtig zu sein, sondern dass man auch die Achtung und die Liebe des Volkes gewinnen musste. Mit 13 war Sophie sehr groß für ihr Alter und dabei nicht unbedingt schön. Immer wieder wurde sie er mahnt, durch Güte und Intelligenz wettzumachen, was ihr an Schönheit mangelte. Ein Bildnis als Geschenk der Mutter an die russische Kaiserin Elisabeth (1709 - 1762) musste vom Hofmaler geschönt werden und verfehlte dadurch nicht seine Wirkung. Denn es hieß „die Kaiserin sei entzückt von den ausdrucksvollen Zügen der jungen Fürstin“. Als schließlich der ein Jahr ältere Peter Ulrich (1728 - 1762) als Sohn des Herzogs von Holstein-Gottorp und Erbe des Thrones von Schweden 1742 auf die schwedische Krone verzichtete, wurde er von seiner Tante der russischen Kaiserin Elisabeth adoptiert und zu ihrem Nachfolger ausersehen. Damit erwachte Sophies Interesse an ihm. „In meinen geheimsten Gedanken entschied ich mich für ihn, denn von allen Verbindungen, die man für mich in Aussicht genommen hatte, war dies die glänzendste.“

Am Neujahrstag 1744 traf nach dem Gottesdienst bei Tisch im Schloss Zerbst der Brief des schwedischen Hofmeisters Otto Brümmer ein. Darin stand: „Auf den ausdrücklichen Befehl Ihrer Kaiserlichen Majestät habe ich Ihnen, Madame, den Wunsch der erhabenen Kaiserin zu übermitteln, daß Ihre Hoheit mit der Prinzessin, Dero ältesten Tochter, so bald  wie möglich in unser Land reisen möge…“. Dieser Brief enthielt aber auch die klare Weisung, dass der Vater von Sophie unter keinen Umständen an der Reise teilnehmen soll. Diesem Wunsch beugte sich der Vater schweren Herzens und stieg in Schwedt an der Oder aus der Kutsche aus. Der Tross, der am 8. Januar in Zerbst losgefahren war, setzte seine Reise über Danzig, Königsberg und Riga fort. Am 3. Februar 1744, mittags traf Sophie in St. Petersburg. Das Zerbster Kapitel von kaum 14 Monaten hatte für Katharina II. Alexejewna immer ein Ende. Volker A. W. Wittich

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